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Konsequenzen wegen fehlender Kontrolle im AKW Philippsburg

Im Atomkraftwerk Philippsburg 2 sind Sicherheitskontrollen nur vorgetäuscht worden. Das baden-württembergische Umweltministerium will den Betrieb des Kraftwerks daher bis auf Weiteres untersagen.

©Fredrik von Erichsen/dpa

Karlsruhe/Stuttgart (dpa - Landesdienst Südwest) Der Fall der nur vorgetäuschten Sicherheitskontrollen im Atomkraftwerk Philippsburg II (Kreis Karlsruhe) muss nach Auffassung von Politikern und Umweltverbänden Konsequenzen haben. Baden-Württembergs Umweltminister Franz Untersteller (Grüne) kündigte am Donnerstag an, jetzt auch das zweite
im Südwesten noch betriebene Atomkraftwerk Neckarwestheim II (Kreis Heilbronn) unter die Lupe zu nehmen.  Am Mittwoch war bekannt geworden, dass in Philippsburg ein Mitarbeiter eine regelmäßige Prüfung an einem Störfallmonitor zwar dokumentiert, tatsächlich aber nicht durchgeführt hatte. Das Umweltministerium als Aufsichtsbehörde kündigte eine Anordnung an, die das Wiederanfahren der Anlage untersagt. Dazu findet eine gesetzlich vorgeschriebene Anhörung statt. Der Betreiber EnBW sei sehr kooperativ, sagte Minister Untersteller. Das Unternehmen habe Informationen über die Unregelmäßigkeiten am 5. April einem Mitarbeiter des Umweltministeriums vorgelegt. Seit dem 8. April ist das Atomkraftwerk wegen einer Revision nicht am Netz. Unter anderem werden Brennstäbe gewechselt und Instandhaltungsarbeiten ausgeführt.  Die Grünen-Atomexpertin Sylvia Kotting-Uhl forderte die Bundesatomaufsicht auf, sich des Falls anzunehmen. Vor allem müsse analysiert werden, ob es Lücken im Regelwerk gibt, die eine Vortäuschung von Prüfungen ermöglichen, teilte die Bundestagsabgeordnete mit. Für die Zukunft sollte eine konsequentere Anwendung des Vier-Augen-Prinzips und die Einschaltung von Sachverständigen geprüft werden, forderte sie. Auch müsse geklärt werden, ob es in anderen Atomkraftwerken ähnliche Tricks gab. Nach Unterstellers Angaben sind nach dem am 5. April aufgedeckten Fall bei 450 Sicherheitsprüfungen weitere sieben Fälle aufgefallen. Stets sei derselbe Mitarbeiter eines zwei- bis dreiköpfigen Prüfteams verwickelt. Über die Motive gebe es keine Erkenntnisse. «Wir nehmen das nicht auf die leichte Schulter», sagte Untersteller. «Ich bin nicht bereit, sie in Betrieb gehen zu lassen, bevor nicht dargelegt ist, wie sich in Zukunft solche Fälle ausschließen lassen.» Seines Wissens nach ist es das erste Mal, dass eine vorgeschriebene Prüfung in einem deutschen Kernkraftwerk offenbar bewusst vorgetäuscht wurde. «Das ist hochgradig beunruhigend und nicht akzeptabel», teilte der Minister mit. Möglicherweise werde jetzt eine bundesweite Diskussion über Sicherheitskontrollen angestoßen. Im Laufe des Tages wurde bekannt, dass auch ein für den Strahlenschutz zuständiger Mitarbeiter des Atomkraftwerks Biblis in Hessen 2014 und 2015 Sicherheitsprüfungen an Messgeräten vorgetäuscht hat. Weil die Dokumentation der vermeintlichen Prüfergebnisse auffällig gewesen sei, hätten der Kraftwerkbetreiber und das Umweltministerium nach weiteren Recherchen den Fall aufdecken können, teilte das Ministerium am Donnerstag in Wiesbaden mit. Der Fall sei nach der Stilllegung des AKWs erfolgt. Update 18. April: Die Zahl der Ungereimtheiten steigt. Minister Untersteller: Melderecht überarbeiten Im Atomkraftwerk Philippsburg haben drei Mitarbeiter bei Sicherheitsprüfungen unsauber gearbeitet. Ungereimtheiten gibt es bei 24 statt wie bisher bekannt bei acht Prüfprotokollen, wie aus einer Mitteilung des Kraftwerksbetreibers EnBW vom Montag hervorgeht. Der Konzern beteuerte, dass die Sicherheit der Anlagen trotz des Fehlverhaltens jederzeit gewährleistet gewesen sei, und kündigte weitere Untersuchungen an. Umweltminister Franz Untersteller (Grüne) will den Betrieb des Philippsburger Kraftwerks jedoch vorerst nicht weiter erlauben. Der Konzern hatte Anfang April bei Untersuchungen zunächst festgestellt, dass ein Mitarbeiter eine wiederkehrende Prüfung an einem Störfallmonitor in Block II in Philippsburg zwar dokumentiert, aber nicht durchgeführt hatte. Bei näherem Hinsehen wurde dann auch entdeckt, dass Prüfprotokolle vordatiert wurden, um verpasste Termine zu vertuschen. Insgesamt waren laut EnBW drei Mitarbeiter, alle von einem externen Dienstleister, beteiligt. Sie haben nach Angaben einer EnBW-Sprecherin keinen Zutritt mehr zum Gelände des AKW Philippsburg. Die Zusammenarbeit mit der Fremdfirma werde fortgesetzt - es habe sich um Fehlverhalten einer Gruppe, nicht des Dienstleisters gehandelt. Der Energiekonzern kündigte weitere Untersuchungen an, «um zu belegen, dass es keine vergleichbaren Täuschungen bei anderen Prüfungen am Standort Philippsburg gibt», wie es in der Mitteilung heißt. Auch die Atomkraftwerke in Neckarwestheim und Obrigheim werden auf ähnliche Fälle untersucht. Umweltminister Untersteller forderte eine bundesweite Meldepflicht für Fälle menschlichen Versagens, die derzeit von Kraftwerksbetreibern als interne Angelegenheit betrachtet werden können. «Wenn jemand wie in Biblis oder inPhilippsburg aber Sicherheitsprüfungen vorgibt, die nie stattgefunden haben, ist das in meinen Augen ein schwerwiegender Verstoß gegen die Sicherheitsinteressen der Bevölkerung», sagte Untersteller. Nach Angaben des Umweltministeriums gilt der aktuelle Fall aus Philippsburg den internationalen Regeln zufolge als Störung (Stufe 1). «Das ist schon außergewöhnlich», sagte ein Ministeriumssprecher. Die meisten Meldungen der Atomkraftwerke im Land seien ohne sicherheitstechnische Bedeutung (Stufe 0).
Weitere Informationen des Umweltministeriums
Mitteilung des Kraftwerkbetreibers EnBW
Allgemeine Informationen des Bundesamtes für Strahlenschutz