Rubriken | Integration und Flüchtlinge | Wirtschaft und Arbeit | Bauen und Wohnen | Digitales, Datenschutz und Medien | Gesundheit und Pflege | Sicherheit und Justiz | Kunst und Kultur | Artikel-Typ

Was ändert sich mit den Leitlinien zur Abschiebepraxis?

Auf Drängen der grünen Landtagsfraktion hat das Innenministerium Leitlinien für eine menschenwürdige Abschiebepraxis veröffentlicht. Edith Sitzmann, Vorsitzende der Fraktion Grüne, erklärt den Handlungsspielraum des Landes, wie es diesen nutzt und was Grün-Rot für die Menschen tun kann, wenn ein Asylantrag nicht erfolgreich war. Das Innenministerium hat Leitlinien für eine menschenwürdige Abschiebepraxis vorgelegt. Was ändert sich damit? Edith Sitzmann: Zu einer transparenten Politik gehört es, Handeln der Behörden nachvollziehbar zu machen. Die Leitlinien sind deshalb ein großer Fortschritt. Für uns Grüne ist es sehr wichtig, dass besonders bei Familien die freiwillige Ausreise Vorrang hat, wenn ein Asylantrag abgelehnt wurde. Da muss ein Land mehr tun, als Fristen zu setzen: Die Landesregierung fördert deshalb Beratungsstellen, die auch medizinische Hilfe in den Herkunftsländern organisieren und Existenzgründungen unterstützen. Die Verantwortung des Landes endet für uns nicht an seinen Grenzen. Für die Fälle, bei denen diese Angebote nicht greifen, stellt das Land mit den Leitlinien konkrete und nachvollziehbare Regeln auf,  wann Abschiebungen aus humanitären Gründen ausgesetzt werden können. Das haben in dieser Form nur wenige Bundesländer. Welche Regeln sind das? Sitzmann: Wer kranke Familienangehörige pflegt oder selbst so krank ist, dass sie oder er im Herkunftsland nicht ausreichend behandelt werden kann, soll erst wieder auf die Füße kommen. Auch bei einer unmittelbar bevorstehenden Geburt eines Kindes der Kernfamilie oder einem Todesfall werden Abschiebungen ausgesetzt. Menschen, die kurz vor einem Schul- oder Ausbildungsabschluss stehen, sind ebenfalls ausgenommen. Das bietet auch gleich Perspektiven: So können die Menschen in ihrem Herkunftsland von der hier erworbenen Qualifikation profitieren.  Auch Flüchtlinge, die absehbar unter die zukünftige stichtagslose Bleiberechtsregelung fallen, werden derzeit nicht abgeschoben. Diese Kriterien geben den Menschen nach einem abgelehnten Asylantrag Klarheit, nach welchen Regeln die Behörden arbeiten. Die weiterhin Abschiebungen beinhaltet... Sitzmann: Wenn das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge einen Antrag ablehnt, besteht grundsätzlich eine Ausreisepflicht. Die Länder müssen sie für den Bund durchsetzen, falls ihr jemand nicht nachkommt. Derzeit sieht die Situation so aus: Ein Teil der Asylbewerber wird politisch verfolgt und bleibt bei uns. Für andere greift der Schutz vor politischer Verfolgung nicht. Diese Menschen fliehen oft vor Armut oder Diskriminierung. Ihnen kann das Asylrecht keinen Schutz gewähren. Das Asylrecht schützt Menschen vor politischer Verfolgung, aber es hilft nicht gegen strukturelle Probleme in einem Land. Wie kann man diesen Menschen dann helfen? Sitzmann: Auf Bundesebene brauchen wir ein modernes Einwanderungsgesetz. Danach könnten Arbeitskräfte auch über ein Punktesystem  nach Deutschland einwandern. Staatsministerin Silke Krebs und Europaminister Peter Friedrich haben auf ihrer Reise ins Kosovo eine junge, hochmotivierte Bevölkerung erlebt. Die jungen Menschen sind teils hier aufgewachsen, sprechen die Sprache, sind gut ausgebildet. Ihnen kann ein Zuwanderungsgesetz Perspektiven geben, die das Asylrecht ihnen nicht bietet. Das ist aber nur ein Mittel. Man darf die Situation vor Ort nicht aus dem Blick verlieren. Für Länder wie das Kosovo ist es dramatisch, wenn viele Menschen auswandern wollen. Die Europäische Union muss dort helfen. Auch Baden-Württemberg will mit dem Kosovo kooperieren. Flüchtlingsorganisationen haben oft weitergehende Wünsche. Sitzmann: Nicht alles kann in Leitlinien geregelt werden. Auch wir Grüne wollen, dass junge Asylbewerber mindestens für die Dauer einer Berufsausbildung in Deutschland einen gesicherten Aufenthaltsstatus bekommen. Das geht aber nur durch eine Änderung der Bundesgesetze. Winfried Kretschmann hat sich daher gemeinsam mit seiner rheinland-pfälzischen Kollegin Malu Dreyer (SPD) und Hessens Ministerpräsident Volker Bouffier (CDU) mit dieser Forderung an die Bundeskanzlerin gewandt. Da bleiben wir dran. Und was ist mit der Kritik an den Leitlinien? Bei den humanitären Kriterien bewegt sich das Land in dem engen Rahmen, den die Bundesgesetze vorschreiben. Mehr individuelle Gründe und persönliche Belange, die vor einer Abschiebung schützen, gibt es in nahezu keinem anderen Bundesland. Das zeigt, was die grün-rote Landesregierung mit einer humanitären Asylpolitik meint. Die Leitlinien des Innenministeriums im Wortlaut