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"Eine Schocksituation"

Die grüne Landtagsfraktion hat VertreterInnen des Zentralrats der Yeziden in Deutschland zu ihrer Klausur eingeladen. Die Abgeordneten sowie Ministerpräsident Winfried Kretschmann wollten sich ein eigenes Bild von den Vorgängen in den von Bürgerkrieg heimgesuchten Ländern Irak und Syrien machen. Dort werden die Yeziden von den Terroristen der Gruppe Islamischer Staat (IS) verfolgt und getötet. "Im Moment befinden wir uns in einer absoluten Schocksituation", sagte Telim Tolan, Vorsitzender des Zentralrates. Die "Bestien" der IS vertreiben und töten alle Menschen, die aus ihrer extremen islamistischen Perspektive Ungläubige sind - davon betroffen sind neben den Yesiden auch Christen und Aleviten. Topran berichtete von Fällen, in denen Frauen und Kinder die Enthauptung ihrer Männer und Väter mitansehen mussten, um danach verschleppt zu werden. "Frauen werden versklavt, Kinder sollen in Religionsschulen umerzogen werden. Auch wenn der IS besiegt werden sollte, werden wir sehr viel Hilfe benötigen, um diese traumatisierten Menschen eine Rückkehr in ein normales Leben zu ermöglichen", sagt Topran. Er appellierte daher an die Politik, alles zu tun, um einen Völkermord zu verhindern - "denn nicht anderes ist es: Eine jahrtausendealte Kultur soll vernichtet werden." Der Zentralrat steht nahezu ununterbrochen telefonisch in Kontakt zu Menschen vor Ort. Einzelne Mitglieder reisen zudem in die kurdischen Autonomiegebiete des Nordiraks, wohin sich die meisten Vertriebenen geflüchtet haben, um konkrete Hilfe organisieren und Spenden direkt übergeben zu können. "Wir bekommen die Kämpfe, das Sterben, das Leid hautnah mit. Wir sind verzweifelt und bitten um jedwede Hilfe, die leistbar ist." Dem Zentralrat ist es vor allem ein Anliegen, auf die Situation der Flüchtlinge aufmerksam zu machen. Auf dem Gebiet der kurdischen Regionalregierung im Nordirak befinden sich derart viele Vertriebene, dass deren Ressourcen unmöglich ausreichen, um sie menschenwürdig zu versorgen. "Es gibt für neu ankommende Flüchtlinge keine Aufnahmeeinrichtungen. Sie sind vor den Terroristen in die Berge geflüchtet und stranden nun entlang von Fernstraßen - oft ohne Zugang zu Wasser, Nahrung, Medikamenten oder winterfester Kleidung." Nach letzten Angaben der UN befinden sich allein im Irak über 200.000 Menschen auf der Flucht vor dem IS-Terror. Ministerpräsident Winfried Kretschmann bot dem Zentralrat einen raschen Termin im Staatsministerium an, um zu klären, welche Hebel die Landesregierung zu deren Unterstützung in Bewegung setzen kann. Gastgeberin Edith Sitzmann dankte den VertreterInnen des Zentralrates für ihre eindringlichen und aufwühlenden Schilderungen. Grüne Flüchtlingspolitik orientiere sich an humanitären Leitlinien. "Umso wichtiger ist es, die Nöte der Menschen, denen wir helfen wollen, aus erster Hand zu erfahren." Hintergrund: Das Yezidentum ist eine monotheistische Religion, deren Wurzeln 2000 Jahre weit vor dem Christentum liegen. Die yezidische Religion kennt - anders als der Islam und das Christentum - nicht die Vorstellung eines Widersachers gegenüber dem göttlichen Willen. Vielmehr ist Gott einzig, allmächtig und allwissend. Als Yezide wird man geboren, Missionierung findet daher nicht statt.
Die Yeziden sind von der Volkszugehörigkeit  Kurden. Sie sprechen das nordkurdische Kurmanji als Muttersprache. Ihre Siedlungsgebiete befinden sich innerhalb der Verbreitungsgebiete der Kurden. Man geht davon aus, dass 800.000 Menschen zur Gruppe der Yeziden gehören.