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"Bund, Land und Kommunen, Kirchen und Verbände stehen in einer Verantwortungsgemeinschaft"

Interview: Bettina Grachtrup/dpa Frage: Wie wollen Sie verhindern, dass das Thema Flüchtlinge in den Landtagswahlkampf hineingezogen wird? Kretschmann: Das Thema wird eine Rolle im Wahlkampf spielen, denn es ist ja ein wichtiges Thema. Es geht nur darum, dass es nicht populistisch gedreht wird. Befürchten Sie, dass das Thema populistisch debattiert wird? Die Befürchtung habe ich aktuell nicht. Alle Beteiligten sind daran interessiert, lösungsorientiert zu debattieren. Im Sinn des Flüchtlingsgipfels sind wir eine Verantwortungsgemeinschaft – Bund, Land und Kommunen, Kirchen und Verbände. Ihre Integrationsministerin Bilkay Öney (SPD) schlägt vor, die Landeserstaufnahmeeinrichtungen (Lea) in Bundeshand zu geben. Was halten Sie davon? Das muss man abwägen. Einerseits haben wir mit dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge eine Bundesbehörde in der Lea mit drin, die eine wesentliche Aufgabe mit der Bearbeitung der Asylanträge hat. Andererseits stellen die Länder den Background für die Lea, wie zum Beispiel die Feuerwehr. Haben Sie zu der Frage schon eine Haltung? Wir werden Anfang September bei einem Treffen der Länder mit dem Bund entscheiden, wie wir weiter mit den Flüchtlingsströmen umgehen. Dazu gehört sicherlich auch, ob wir das System kritisch hinterfragen müssen. Ich habe mich da noch nicht festgelegt. Was aber gegen eine Änderung des Systems spricht, ist die Tatsache, dass wir uns in einem Krisenmodus befinden. Eine Änderung kann problematisch sein, weil wir dann eine Menge Kraft für Kompetenzänderungen bräuchten. Das absolute Kernproblem ist aber, dass die Bearbeitung der Asylverfahren zu lange dauert. Wir könnten die Asylverfahren für Bürgerkriegsflüchtlinge etwa aus Syrien verkürzen. Wir prüfen, ob wir eine Sonderregelung für sie schaffen mit erleichterten Anerkennungsmöglichkeiten, oder ob zumindest ihre Verfahren grundsätzlich schriftlich erledigt werden können. Die SPD hat angeregt, die Ernennung weiterer Balkanstaaten zu «sicheren Herkunftsländern» zusammen mit dem Thema Einwanderungsgesetz zu verhandeln. Hielten Sie das für sinnvoll? Das Ziel einer Anerkennung der drei Westbalkanstaaten ist ja, die Asylverfahren zu verkürzen und den Flüchtlingen den Anreiz zu nehmen, nach Deutschland zu kommen. Zugleich müsste man aber Zuwanderungskorridore öffnen, damit diese Menschen, die aus wirtschaftlicher Perspektivlosigkeit zu uns kommen, legal auf unserem Arbeitsmarkt Fuß fassen können. Der Bund muss allerdings erst einmal nachweisen, dass «sichere Herkunftsländer» etwas bringen. Ich bin nur dann zu Kompromissen bereit, wenn sie in der Sache weiterführen. Schon an ihrer Verhandlungsbereitschaft gibt es Kritik aus dem linken Flügel ihrer Partei... Ich werde versuchen, gemeinsam mit den grünen Vize-Ministerpräsidentinnen und -präsidenten einen Konsens in der Partei herzustellen. Ob der zustande kommt, kann ich nicht sagen. Aber wir müssen alles dafür tun, dass wir in dieser schwierigen Situation nicht zu innerparteilichen Auseinandersetzungen kommen. Tübingens grüner Oberbürgermeister Boris Palmer hat vorgeschlagen, notfalls leerstehende private Wohnungen zu beschlagnahmen. Wie stehen Sie dazu? Gott sei Dank stehen wir noch nicht an dem Punkt - wenn die Krise sich weiter verschärft, kann es das allerletzte Mittel sein. Wir tun erst einmal alles dafür, dass die Bürger freiwillig solche Liegenschaften zur Verfügung stellen.