Soziales und Gesellschaft

"Beim Thema Lohntransparenz und Lohngerechtigkeit haben wir Nachholbedarf"

Zwischen Frauen und Männern klafft bei gleicher und gleichwertiger Arbeit noch immer eine erhebliche Lohnlücke.

©Berg/dpa

Der Internationale Frauentag wird weltweit von Frauenorganisationen jedes Jahr am 8. März begangen. Er entstand in der Zeit um den Ersten Weltkrieg im Kampf um die Gleichberechtigung und das Wahlrecht für Frauen. Im Interview spricht unsere frauenpolitische Sprecherin Dorothea Wehinger über Chancengleichheit, Aufstiegsmöglichkeiten und Lohngerechtigkeit. Warum lohnt es sich noch heute für die Rechte von Frauen und für die Gleichberechtigung zu kämpfen? Dorothea Wehinger: Frauenpolitik ist aktueller denn je. Die Gleichberechtigung von Frauen und Männern ist zwar gesetzlich festgeschrieben, wird aber noch lange nicht in allen Bereichen konsequent umgesetzt. So gibt es immer noch Lohnunterschiede zwischen Frauen und Männern, selbst wenn sie die gleiche und gleichwertige Arbeit leisten. Frauen sind in Führungspositionen nach wie vor unterrepräsentiert. Wir brauchen ein Umdenken. Wir brauchen mehr Chancengleichheit und Aufstiegsmöglichkeiten für Frauen. Frauen sind auch häufiger in Familien- und Pflegearbeit eingebunden und nehmen dafür Auszeiten in ihrer beruflichen Entwicklung. Deshalb müssen Kindererziehungs- und Pflegezeiten in die Rentenversorgung einfließen. Frauen leisten hier einen wichtigen Beitrag für unsere Gesellschaft, der auch durch eine angemessene Berücksichtigung in der Altersversorgung honoriert werden sollte. Der Internationale Frauentag am 8. März ist eine gute Gelegenheit, um auf die bestehenden Probleme aufmerksam zu machen. Es lohnt sich aktiv und öffentlich für die Frauenrechte einzutreten und Mädchen und Frauen weltweit zu stärken. Jede Frau sollte in Freiheit und Sicherheit leben können und unsere Gemeinschaft bereichern. Wie war dein persönlicher Weg in die Politik und was braucht es diesen Schritt zu wagen? Wehinger: Ich bin in einer politisch aktiven Familie aufgewachsen und bin vor allem durch meine Jugendarbeit in die Politik gekommen. Die Themen soziale Gerechtigkeit, Frauen und auch die Entwicklungsarbeit haben mich früh bewegt und geprägt. In den 80er Jahren habe ich für Frieden, Menschenrechte und gegen Atomkraft gekämpft. Daneben war ich als BUND-Mitglied im Bereich Natur- und Umweltschutz aktiv und habe verschiedene Veranstaltungen und Vorträge organisiert. Mittlerweile bin ich Mitglied im Gemeinderat und Kreistag und seit letztem Jahr nun erste grüne Landtagsabgeordnete für den Wahlkreis Singen und frauenpolitische Sprecherin der Fraktion GRÜNE.
Dieser Weg war nicht immer einfach für mich. Aber mir hat immer meine innere Überzeugung geholfen, dass jeder etwas bewegen kann. Ich möchte  alle Frauen bestärken, sich für politische Gremien aufstellen zu lassen und ihre Erfahrungen dort einzubringen. Der Einsatz lohnt sich. Der gesellschaftliche Zusammenhalt ist wichtiger denn je und wird derzeit von verschiedenen Seiten angegriffen. Hier müssen wir, gerade auch wir Frauen, entschieden etwas dagegensetzen. Es geht mir dabei nicht um eine Polarisierung zwischen Frauen und Männern, sondern um das Miteinander und die gegenseitige Achtung und Respekt. Nur gemeinsam können wir für unsere Gesellschaft eintreten. Welche Initiativen unternimmt die baden-württembergische Landesregierung, um gezielt Mädchen und Frauen zu unterstützen? Wehinger: Wir dürfen nicht hinnehmen, dass zwischen Frauen und Männern bei gleicher und gleichwertiger Arbeit noch immer eine erhebliche Lohnlücke klafft – auch in Baden-Württemberg. Wir werden die Landesregierung deshalb ausdrücklich dabei unterstützen, dass sie im Bundesrat ihre Überlegungen einbringt. Beim Thema Lohntransparenz und Lohngerechtigkeit haben wir Nachholbedarf. Wir müssen auch auf der landespolitischen Ebene aktiv werden: Wir werden uns für eine diskriminierungsfreie Arbeitsbewertung im öffentlichen Dienst des Landes Baden-Württemberg einsetzen. Eine Möglichkeit wäre zum Beispiel, dass wir das Beförderungs- und Beurteilungswesen im öffentlichen Dienst überprüfen. Das Land muss beim Thema Entgeltgleichheit Vorreiter werden. Wir müssen den Dialog mit der Wirtschaft intensivieren und Anreize schaffen, um hier schnelle Fortschritte zu erzielen.
Mit dem Chancengleichheitsgesetz hat die Landesregierung im Februar 2016 einen wichtigen Meilenstein gesetzt, um das berufliche Vorankommen von Frauen in der Verwaltung zu fördern und die Vereinbarkeit von Familie, Pflege und Beruf zu verbessern.  Ab sofort sind Beauftragte für Chancengleichheit in den Stadt- und Landkreisen sowie Kommunen ab 50.000 Einwohner*innen gesetzliche Pflicht. Auch die Behörden des Landes haben Gleichstellungsbeauftragte.  Das ist ein wichtiges Signal. Weiterhin fördert das Land seit 1994 mit den sogenannten Kontaktstellen „Frau und Beruf“ Beratungsstellen in verschiedenen Regionen Baden-Württembergs, um das Fachkräftepotenzial von Frauen zu erschließen und Frauen bei Existenzgründungen zu beraten oder beim beruflichen Wiedereinstieg zu unterstützen.  Mit dem Projekt „Spitzenfrauen“ werden  Unternehmen gezielt adressiert, um sie für Frauenkarrieren und eine Änderung der Unternehmenskultur für mehr Frauen in Führungspositionen zu sensibilisieren. Um die Vereinbarkeit von Familie, Pflege und Beruf voranzubringen, setzen wir weiter auf den Ausbau der Kleinkindbetreuung und der Ganztagesschulen. Besonders familienfreundliche Betriebe sollten als Vorbilder ausgezeichnet werden. Es gilt zu prüfen, unter welchen Voraussetzungen sowohl Elternzeit als auch Dienstzeit für Beförderungen angerechnet werden.
Die Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und Kinder ist ein weiterer Schwerpunkt der Politik der Landesregierung. Mit dem Landesaktionsplan gegen Gewalt an Frauen hat die Landesregierung Ende 2014 ein wirkungsvolles Instrument installiert, um Frauen vor weiteren Misshandlungen zu schützen und sie dabei zu unterstützen, Gewalterfahrung zu überwinden und ein selbstbestimmtes Leben aufzubauen. Die Landeszuschüsse für Frauen- und Kinderschutzhäuser wurden mit rund 1, 2 Millionen Euro im Haushalt 2017 verstetigt. Wichtig ist, dass bei all den genannten Maßnahmen auch die besondere Rolle und Schutzfunktion von Migrantinnen und Flüchtlingsfamilien mitgedacht wird.
In meiner Sprecherfunktion werde ich diese wichtige Arbeit der Landesregierung mit Nachdruck vorantreiben.