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Wo geht's hier bitte zur Hochschule - Anhörung zur Akademisierung gesundheitsnaher Berufe

Auf Einladung von Bärbl Mielich für den AK Sozialpolitik und Petra Häffner für den AK Wissenschaft, Forschung und Kunst der Fraktion GRÜNE stand am 14. Oktober 2013 - unter reger Anteilnahme von Hochschulen, Beschäftigten aus dem Gesundheitssektor und ihren Verbänden - die Frage der Akademisierung gesundheitsnaher Berufe zur Diskussion. In ihrem Grußwort betonte Petra Häffner, selbst Physiotherapeutin, die Notwendigkeit, bei der Akademisierung gesundheitsnaher Berufe weiterzukommen. Dabei gehe es nicht nur darum, dem demographischen Wandel zu begegnen, sondern auch darum, die Voraussetzungen dafür zu schaffen, dass Expertinnen und Experten aus den verschiedenen Gesundheitsberufen in gemischten Teams auf Augenhöhe zusammenarbeiten können. Akademisierung betreffe dabei die Pflegeberufe ebenso wie die Therapieberufe und die Hebammen. Häffner betonte, dass es wichtig sei, in Baden-Württemberg zu einer abgestimmten Strategie für die Akademisierung der Gesundheitsfachberufe zu kommen. Nach der parlamentarischen Anfrage (Drs. 15/2333) zur Bestandsaufnahme sei die heutige Anhörung der zweite Schritt, um sich über unterschiedliche Modelle der Akademisierung zu verständigen. Ein wichtiger Bezugspunkt für die Akademisierungsdebatte sind die Empfehlungen des Wissenschaftsrates zu Gesundheitsberufen der Zukunft. Prof. Dr. Hans-Jochen Heinze, der Vorsitzende des Ausschusses Medizin des Wissenschaftsrats, übernahm die Aufgabe, diese Empfehlungen und die dahinter stehenden Überlegungen vorzustellen. Ausgehend vom Leitbild des "reflektierenden Praktikers" bzw. der "reflektierenden Praktikerin" schlägt der Wissenschaftsrat vor, dass Angehörige der Gesundheitsberufe, die in komplexen Aufgaben tätig sind, künftig an Hochschulen ausgebildet werden. Empfohlen werde insbesondere, dass 10 bis 20 Prozent eines Ausbildungsjahrgangs in den Therapie- und Pflegeberufen grundständige Bachelorstudiengänge absolvieren. Dabei gehe es nicht in erster Linie um Leitungsfunktionen, sondern um die zunehmend komplexeren Aufgaben innerhalb der Arbeit am Patienten. Um dies umzusetzen, seien unterschiedliche Modelle denkbar - etwa der Gesundheitscampus, auf dem FH und die medizinische Fakultät einer Universität kooperieren, oder auch die Fachhochschule für Gesundheitsberufe. Wichtig sei eine Zusammenarbeit der Studierenden verschiedener Gesundheitsdisziplinen schon während der Ausbildung. Bei der Akademisierung dürfe nicht nur die Lehre in den Blick genommen werden, sondern es seien hier auch erhebliche Anstrengungen in der Forschung notwendig. Die Teilakademisierung der Gesundheitsberufe sei nicht kostenneutral machbar, aber hinsichtlich zukünftiger Anforderungen einer älter werdenden Gesellschaft dringend notwendig. Prof. Dr. Ursula Walkenhorst, die Vizepräsidentin für Studium, Lehre, Qualitätsmanagement und Gender der Hochschule für Gesundheit Bochum stellte im Anschluss den in Nordrhein-Westfalen eingeschlagenen Weg vor. Die Gesundheitshochschule sei 2009 gegründet worden, möglich gemacht wurde dies durch die Modellklausel in den Berufsgesetzen. In NRW gebe es sieben Standorte mit Modellstudiengängen. Während dabei je Standort in der Regel nur ein Modellstudiengang existiert, sei die Besonderheit der Hochschule für Gesundheit, dass hier fünf Studiengänge eingerichtet sind. Auf die 200 Studienplätze gebe es ca. 2000 Bewerbungen pro Jahr. Das Studium sei dual gestaltet, d.h. abgeschlossen werde sowohl mit dem akademischen Abschluss Bachelor als auch mit der staatlichen Anerkennung, also dem Berufsabschluss. Die Hochschule kooperiere mit der Medizinischen Fakultät der Ruhr-Universität Bochum und mit ca. 380 Gesundheitsdienstleistern. Sie unterstrich das Leitbild der "reflektierenden PraktikerIn" und betonte ebenfalls, dass die akademische Perspektive dazu beitragen solle, komplexe Probleme zwischen medizinischen "Partnerberufen" zu bearbeiten, dass aber weiterhin die Arbeit beim Patienten im Mittelpunkt stehe. Auch mit Blick auf eine Quote von 10 bis 20 Prozent sei ein weiterer Ausbau dringend notwendig. Ein besonderes Augenmerk legte Walkenhorst auf die Problematik der Berufsgesetze, die bisher Studiengänge in den Pflege- und Therapieberufen nur per Modellklausel ermöglichten. Zwischen Hochschulrecht und Berufsrecht gebe es hier oft Dissonanzen. Sie warb für Interprofessionalität bereits in der Ausbildung und Personalentwicklungskonzepte in den Einrichtungen. Die Situation in Baden-Württemberg stellte Hartmut Römpp, Leiter der Referats 45 "Duale Hochschule, Entwicklung dualer Studiengänge" im Wissenschaftsministerium dar. Akademisierung sei eine Reaktion auf die vorhandene Lebenswirklichkeit und die veränderten Gegebenheiten an den Kliniken. Mit Blick auf die akademische Bedeutung des Landes sei es sinnvoll, davon auszugehen, dass etwa 15 Prozent des bundesweiten Bedarfs in Baden-Württemberg abgedeckt werden müsse. Baden-Württemberg sei dabei in einzelnen Studiengängen unterschiedlich weit vorangeschritten; weit gefasst würden in den Pflegewissenschaften etwa 10 Prozent und in den Therapieberufen etwa 5 Prozent erreicht. Eine besondere Rolle komme dabei der DHBW zu. Ungeklärt sei bisher allerdings die Finanzierungsfrage. Prof. Dr. Hermann Brandenburg von der Pflegewissenschaftlichen Fakultät der Philosophisch-Theologischen Hochschule Vallendar stellte die Notwendigkeit der Akademisierung in der (Alten-)Pflege vor. Eine Akademisierung sei zwar kein Allheilmittel, aber dennoch dringend notwendig. 20 Prozent könnten dabei zunächst als Richtmarke dienen, auch wenn der Bedarf möglicherweise noch höher einzuschätzen sei. Neben neuen Studiengängen und Studienplätzen müsse sich auch im Berufsfeld etwas ändern, insbesondere mit Blick auf die heute noch besonders hierarchische Beziehung zwischen der Medizin und den übrigen Gesundheitsberufen. Brandenburg berichtete über die konkrete Ausgestaltung der Pflegewissenschaftlichen Fakultät in Vallendar und regte unter anderem die Einrichtung von Lehrpflegeheimen an, um Praxis und Theorie zu verbinden. Michael Austrup (Vorstandsmitglied Deutscher Verband für Physiotherapie) und Florian Sandeck berichteten zur Perspektive der Physiotherapie. Sie gingen insbesondere auf die Problematik der Finanzierung und die Notwendigkeit, die berufsgesetzlichen Voraussetzungen zu ändern, ein. Sie gehen von ca. 1000 AbsolventInnen der (in der Regel schulgeldpflichtigen) Berufsfachschulen in Baden-Württemberg pro Jahr aus. Derzeit gebe es nur einen primärqualifizierenden Studiengang in diesem Bereich in Baden-Württemberg (SRH-Hochschule Heidelberg mit 40 Studienanfängerplätzen). Weitere Studiengänge seien nicht primärqualifizierend. Als mittelfristiges Ziel nannten sie die Vollakademisierung sowie den direkten, eigenständigen Zugang der Physiotherapie zum Patienten. Die Studiendekanin für Physiotherapie der SRH-Hochschule Heidelberg, Prof. Mieke Wasner, rief für den Hochschulverbund Gesundheitsfachberufe e.V. dazu auf, die Zeit der Modellklausel zu nutzen. Es sei jetzt notwendig, eine zwischen den Hochschulen, dem Sozial- und dem Wissenschaftsministerium koordinierte Strategie anzugehen. Sie kritisierte in diesem Zusammenhang die vom Wissenschaftsministerium vorgelegten Zahlen, so gebe es bisher in Logopädie und Ergotherapie keine primärqualifizierenden Studiengänge in Baden-Württemberg. Zudem liege der größte Teil der Studienplätze an privaten Hochschulen und damit kostenpflichtig. Neben dem politischen Willen sei auch die finanzielle Unterfütterung notwendig - etwa über ein spezifisches Drittmittelprogramm für Hochschulen. Auch Jutta Eichenauer, die Vorsitzende des Hebammenverbandes, plädierte - auch im Hinblick auf die Mindestanforderungen der EU an die Hebammenausbildung - für eine Vollakademisierung. Für bereits heute tätige Hebammen müsse es dabei Übergangsregelungen geben. Dabei seien sowohl vertikale Karrierewege - entsprechend dazu perspektivisch das ganze Spektrum Bachelor, Master, Promotion - als auch die horizontale Durchlässigkeit des Berufes auf dem EU-Arbeitsmarkt wichtig. In Deutschland gibt es drei primärqualifizierende Studiengänge (Bochum, Fulda, Berlin), nicht jedoch in Baden-Württemberg. Dort gibt es lediglich drei ausbildungsbegleitende Studienmöglichkeiten (Stuttgart, Heidelberg, Ulm/Heidenheim), nie jedoch für die Hebammen ausschließlich, sondern immer zusammen mit den Auszubildenden der Pflege. Hier bestehe Handlungsbedarf. Als Besonderheit des Hebammenberufs unterstrich sie die heute schon gegebene Autonomie der Hebamme und den salutogenetischen Ansatz. Weder solle der Hebammenberuf der Pflege subsummiert werden noch auf Risikogeburten und die medizinische Geburtshilfe reduziert werden. Für den Deutschen Berufsverband für Pflegeberufe stellte dessen Vorsitzende Andrea Kiefer fest, dass derzeit ein Wildwuchs an unterschiedlichsten Studiengängen unter "Pflege" subsummiert werde. Hauptsächliche gehe es dabei um das Management, nicht um die Tätigkeit am Patienten. Gerade letzteres sei jedoch wichtig. Würden nur die tatsächlich in der Pflege im engeren Sinne angesiedelten Studiengänge - also beispielsweise nicht die Arztassistent/in - betrachtet, so sei Baden-Württemberg noch weit entfernt von den Kriterien des Wissenschaftsrats. Neben dem geordneten Ausbau primärqualifizierender Studiengänge im Rahmen eines Gesamtkonzeptes - dafür sei ein Bildungsgipfel sinnvoll - sei auch ein Ausbau der Masterstudiengänge notwendig. Aus Sicht der Baden-Württembergischen Krankenhausgesellschaft sah deren Geschäftsführer Rainer Kontermann eine Akademisierung von 10-20 Prozent als notwendig, aber auch als ausreichend an. Die Akademisierung müsse bedarfsorientiert angegangen werden. Sinnvoll sei eine Akademisierung sowohl für den Bereich des Pflegemanagements als auch für den Umgang mit komplexen Pflegesituationen. Er plädierte für praxisnahe Studiengänge und wies auf die Grenzen der Berufsgesetze hin. Wichtig sei zudem eine verbesserte Datenerhebung dazu, auch um den Bedarf abschätzen zu können. In ihrem Fazit zeigte Bärbl Mielich sich beeindruckt über die von verschiedener Seite unerwartet deutlich formulierte Notwendigkeit einer Vollakademisierungsperspektive für die Therapieberufe und die Hebammen. Lediglich im Bereich der Pflegeberufe wurde deutlich, dass das Ziel von 10 bis 20 Prozent Akademisierung eine notwendige und sinnvolle Ergänzung des bunten Straußes der Pflegeberufe sein kann. Seitens der Fraktion GRÜNE werde es jetzt darum gehen, gemeinsam mit dem Wissenschaftsministerium eine Strategie zu entwickeln, um der in der Anhörung deutlich gewordenen Bedeutung der Gesundheitsberufe bei der weiteren Entwicklung der Studienplätze in Baden-Württemberg gerecht zu werden. Deutlich geworden sei auch, dass eine abgestimmte Strategie dringend notwendig sei. Neben dem Land sei mit Blick auf die von einigen Rednerinnen und Rednern genannten Rahmenbedingungen der verschiedenen Berufsgesetze auch der Bund gefragt.