Staatsanzeiger-Interview: Bea Böhlen berichtet über Flüchtlingsaufnahme in Malta und Sizilien

Der Petitionsausschuss war vergangene Woche in Malta und Sizilien zum Thema Flüchtlingsaufnahme. Welche Erkenntnisse haben Sie für Ihre Arbeit gewonnen? Bea Böhlen: Im Petitionsausschuss werden immer mehr Petitionen eingereicht, bei denen es um die Verordnungen Dublin II und Dublin III geht. Darin geht es - verkürzt ausgedrückt - darum, dass ein Flüchtling seinen Asylantrag in dem EU-Staat stellen muss, in dem der ankommt. Reisen die Flüchtlinge weiter, müssen sie wieder in das Ankunftsland zurückgeschickt werden. Das ist die Problematik, mit der sich der Petitionsausschuss befassen muss. Gerade in Deutschland und in Baden-Württemberg wird diese Regelung sehr restriktiv ausgelegt. Muss das so sein? Genau das wollten wir mit der Reise in Erfahrung bringen. Deshalb waren wir auf Malta im EASO. Das ist das European Asylum Support Office, das Unterstützungsbüro für die komplette EU. Dort haben wir gesagt bekommen, dass Dublin II und III bei uns zu restriktiv ausgelegt werden. Andere EU-Staaten und auch Bundesländer wie Baden-Württemberg könnten Asylverfahren an sich ziehen. Das ist eine Erkenntnis, die wir für die Petitionsverfahren mitgenommen haben. Außerdem haben wir bei den Gesprächen mit Vertretern der Politik in Sizilien und Malta erfahren, dass sie sich beim Thema Flüchtlinge allein gelassen fühlen. Weil die Flüchtlinge dort ankommen und dann somit dort bleiben sollen? Ja. Und es wurde auch ganz klar, dass wir dringend eine Harmonisierung der Asylgesetze und der Asylverfahren in der EU brauchen. Da ist EASO einer der ersten Punkte, die jetzt auch von europäischer Seite umgesetzt werden. Weitere müssen folgen. Was bedeutet das für die Arbeit des Petitionsausschusses? Wir haben Anträge von Menschen, die in Baden-Württemberg Asyl möchten, die aber schon in Polen, Italien, Rumänien oder Bulgarien ihre Anträge gestellt haben. Nach den Aussagen des europäischen Büros für Asylzusammenarbeit auf Malta, das für die gesamte EU zuständig ist, können wir im Petitionsausschuss jetzt auch im Einzelfall entscheiden, dass wir möchten, dass das Land Baden-Württemberg einen Asylantrag an sich zieht und dass er hier behandelt wird. Wir werden auch dem Innenausschuss Bericht erstatten. Gibt es Schwerpunkte bei den Flüchtlingen, die in Malta oder in Sizilien ankommen? Etwa aus afrikanischen Staaten? Sizilien hat uns überrascht: Dort haben wir erfahren, dass der Großteil der Flüchtlinge über den Landweg aus Asien gekommen ist. Vor allem Flüchtlinge aus Bangladesh, Afghanistan und Pakistan. Von Menschen aus afrikanischen Ländern haben wir nicht viel gehört und in der Aufnahmeeinrichtung, die wir besucht haben, auch keine getroffen. Auf Malta sah es dann wieder anders aus. Dort waren Menschen aus Eritrea, Somalia, Ghana, Liberia und aus dem Südsudan. Sie haben Einrichtungen vor Ort besucht. Wie war Ihr Eindruck von der Flüchtlingsaufnahme? Die Flüchtlingsaufnahme auf Sizilien selbst war sehr sauber, sehr hygienisch. Die Schwierigkeit dort war, dass vor dem Camp 150 bis 200 Flüchtlinge campieren, die endlich in das Aufnahmelager eingelassen werden wollten. Um diese Menschen kümmert sich niemand. Nur wenn etwas übrig ist, wird Essen rausgegeben. Immerhin Wasser dürfen sie in der Einrichtung holen. Sanitäre Einrichtungen dürfen sie dagegen nicht nutzen. Und auf Malta? Dort waren wir in einer offenen Einrichtung. Der Leiter ist selbst vor 25 Jahren aus Ghana gekommen. Er macht eine hervorragende Arbeit, da waren sich alle einig. Vom ersten Tag an werden Sprachschulungen und kultureller Unterricht angeboten. Der Leiter ist überzeugt, dass Bildung ein so hohes Gut ist, dass es niemals unnütz ist, egal wie der weitere Lebensweg des Menschen aussieht. Flüchtlinge, die das Land illegal betreten, kommen auf Malta allerdings in eine geschlossene Einrichtung, die wir besucht haben. Das waren zwei Baracken ohne Innenwände. Pro Gebäude waren jeweils 375 Menschen in einem Raum zusammengepfercht. Der einzige Privatbereich ist das Bett, wobei jeweils vier Betten zusammengeschraubt waren, nur durch eine Platte getrennt. Das ist nicht nur eine schwierige Situation, sondern eigentlich untragbar - und das bis zu 18 Monat lang. Ein weiterer Punkt Ihrer Reise waren die Themen Bürgerbeteiligung und Bürgerbeauftragte. Bürgerbeteiligung und Bürgerbeauftragte hängen eng mit Petitionen zusammen. Es gibt viele Länder, die Bürgerbeauftragte haben. Wenn ein Staat der EU beitreten will, muss er eine solche Stelle einrichten. Bei den Staaten, die schon lange Teil der EU sind, wie Deutschland und Italien, war das noch nicht gefordert. In Italien gibt es dennoch in einigen Gegenden, etwa in der Lombardei oder der Toskana Bürgerbeauftragte. Malta ist erst vor zehn Jahren in die EU gekommen und hat einen Bürgerbeauftragten. Das ist ein emeritierter oberster Richter. Welche Vorteile bietet ein Bürgerbeauftragter? Mit einem Bürgerbeauftragten können Leute ganz niederschwellig Kontakt aufnehmen. Und viele Dinge können oft in einem frühen Stadium geklärt werden. Dadurch werden aufwendige Verfahren, auch Gerichtsverfahren, vermieden. Könnte ein Bürgerbeauftragter zu Entlastung des Petitionsausschusses beitragen? Bestimmt könnte er früher eingreifen. Ein Beispiel ist Rheinland-Pfalz. Dort gibt es seit 42 Jahren einen Bürgerbeauftragten. Da kann man ganz klar den Mehrwert eines Bürgerbeauftragten erkennen. Der Petitionsausschuss bekommt dann die harten Fälle über die dann noch mal intensiv diskutieren kann. Wünschen Sie sich auch einen Bürgerbeauftragten für Baden-Württemberg? Wenn man sich das Beispiel Rheinland-Pfalz anschaut, hat der Gedanke daran viel Charme. Die Fragen stellte Stefanie Schlüter für den Staatsanzeiger.