Demokratie und Mitbestimmung

Berufsverbote im Südwesten sollen aufgearbeitet werden (dpa)

Bericht der Nachrichtenagentur dpa: Über 40 Jahre nach dem Radikalenerlass will sich erstmals eine Regierungspartei in Baden-Württemberg mit dem Schicksal der vom Berufsverbot Betroffenen auseinandersetzen. Die Grünen-Landtagsfraktion will einen Runden Tisch bilden und anschließend das Thema wissenschaftlich aufarbeiten lassen, sagte der Grünen-Innenpolitiker Uli Sckerl am Mittwoch der Deutschen Presse-Agentur in Stuttgart. Das sei im Zuge der "Politik des Gehörtwerdens" geboten. So sei es möglich, auf die Forderungen der Vertreter der damals als Staatsfeinde angesehenen Menschen in den 1970er Jahren zu reagieren. Zudem werde auch geprüft, ob es zu einer parlamentarischen Behandlung des Themas etwa wie in Niedersachsen kommen soll. Dort hatte der Landtag eine Kommission zur Aufarbeitung des Themas eingesetzt, die auch Möglichkeiten der politischen und gesellschaftlichen Rehabilitierung der Betroffenen auslotet. Die Initiative "40 Jahre Radikalenerlass" hatte im Januar erneut Briefe an die Landtagsabgeordneten verschickt, in der sie eine Entschuldigung, eine Rehabilitierung, in Einzelfällen eine Entschädigung und eine wissenschaftlichen Aufarbeitung der Berufsverbote verlangt. Nach Angaben des Sprechers der Gruppe, Klaus Lipps, kamen die meisten Antworten von der Grünen-Fraktion, weniger von der SPD, vereinzelte aus der CDU und gar keine von den Liberalen. In den 70er Jahren konnte nur Beamter sein und werden, wer für die freiheitlich demokratische Grundordnung eintrat. Folge waren laut der Initiative 11 000 offizielle Berufsverbotsverfahren. Mehrere Hundert davon gab es in Baden-Württemberg. Betroffen waren viele Lehrer, darunter auch Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) als angehender Referendar im Schuldienst. Ihm drohte ein Berufsverbot, weil er Mitglied im Kommunistischen Bund Westdeutschland (KBW) war. Im Dezember vergangenen Jahres hatte auch er eine wissenschaftliche Aufarbeitung als wünschenswert bezeichnet. Kretschmann sagte der Wochenzeitung «Die Zeit» (Donnerstag), er lese derzeit die eigene Akte über seine Überwachung als KBW-Mitglied. "Das Aktenstudium nach 40 Jahren beeindruckt", sagte der 66-Jährige. Der Grünen-Politiker machte deutlich, dass er seine Erfassung durch die Behörden im Kern aber für gerechtfertigt hielt. Bei Zweifeln an der Verfassungstreue angehender Beamter müsse der Staat diesen nachgehen. Er fügte hinzu: «Das war ja eine CDU-geführte Landesregierung damals, aber in den Unterlagen offenbart sich - neben manch unerträglicher Gesinnungsschnüffelei - in meinem Fall auch großzügige Liberalität.» Mit Blick auf seine radikale Vergangenheit frage er sich selber: «Wie kommt es, dass man als gebildeter Mensch auf einmal in so einer Sekte landet? Dass man die Welt nur noch durch einen Tunnelblick sehen kann?» In die Referendarausbildung an der Universität Stuttgart-Hohenheim und den Schuldienst sei er dann doch gekommen, «weil ich mich von diesem Club abgewendet habe», hatte er zu einer früheren Gelegenheit gesagt. Diesem «Club» gehörten auch andere später prominente Politiker an, so der grüne EU-Abgeordnete Reinhard Bütikofer, die Ex-Gesundheitsministerin Ulla-Schmidt (SPD) und die ehemalige Vorsitzende der Grünen-Bundestagsfraktion Krista Sager. Kretschmann sagte zu seinem ehemaligen Engagement in der maoistisch orientierten Gruppe, die sich der Weltrevolution verschrieben hatte: «Das war einer meine großen politischen Irrtümer.» Lipps sagte auf die Frage, warum er eine Entschuldigung des selbst betroffenen Kretschmanns erwarte: «Ich kann ja Herrn Filbinger nicht mehr bitten.» In der Amtszeit von Ministerpräsident Hans Filbinger von 1966 bis 1978 hatte es besonders viele Berufsverbote gegeben. Derzeit wird im Einstellungsverfahren bei Zweifeln an der Verfassungstreue von Bewerbern für den öffentlichen Dienst des Landes eine Anfrage an den Verfassungsschutz gerichtet. Die Bewerber müssen darüber informiert werden. Polizeianwärter müssen einen Fragebogen über eine eventuelle Zugehörigkeit zu extremistischen Organisationen ausfüllen. Mit dieser Maßnahme hatte das Land 2013 auf die Mitgliedschaft zweier Polizeibeamte in einem deutschen Ableger des rassistischen Ku-Klux-Klans reagiert.