Demokratie und Mitbestimmung

Am Runden Tisch zum Radikalenerlass (dpa)

Auf Initiative der beiden Regierungsfraktionen setzen sich die grünen Abgeordneten Uli Sckerl, Beate Böhlen und Rita Haller-Haid von der SPD mit zwölf vom Erlass Betroffenen und deren Rechtsanwalt zusammen. Mit Hilfe des 1972 eingeführten Erlasses hatte der Staat versucht, als verfassungsfeindlich verdächtigte Staatsdiener oder Bewerber aus dem öffentlichen Dienst zu entfernen. Manche der vermeintlichen Staatsfeinde fanden keinen vernünftigen neuen Beruf und leben deshalb heute in Altersarmut. Mehr als vier Jahrzehnte nach dem sogenannten Radikalenerlass beschäftigt sich erstmals die Landespolitik mit den damaligen Berufsverboten. Auf Einladung von Grünen und SPD im Landtag haben sich Politiker und Betroffene am Freitag in Stuttgart zu einem ersten Austausch getroffen. Die Initiativgruppe „40 Jahre Radikalenerlass“ hätte auch gerne Vertreter von CDU und FDP dabei gehabt. Die Betroffenen verlangen eine Aufarbeitung des lange unbeachteten Kapitels in der Landesgeschichte. „Wir wollen erreichen, dass die Landesregierung sich bei Betroffenen und deren Familien entschuldigt, uns staatsbürgerlich rehabilitiert und Betroffene vor Altersarmut schützt“, sagte der Sprecher der Initiative, Klaus Lipps. Er verweist beispielsweise auf eine interfraktionelle Erklärung des Bedauerns des niedersächsischen Landtags. Laut der Initiative gab es im Südwesten mehrere Hundert Berufsverbotsverfahren. Zuerst sei es wichtig, den Betroffenen einfach einmal zuzuhören, erläutert Grünen-Politiker und Mitinitiator Uli Sckerl. Später solle eine wissenschaftliche Untersuchung des Themas in Auftrag gegeben werden, für die die Landesregierung aufkommt. Nach Angaben von Sckerl sind in den Kellern des Staatsarchivs noch 2.000 Fallakten gelagert. Die Expertise soll in etwa einem Jahr abgeschlossen sein. Auch Ministerpräsident Winfried Kretschmann hat sich für den Runden Tisch eingesetzt. „Politik des Gehörtwerdens“ bedeute zunächst einmal zuzuhören, was die Betroffenen zu sagen haben. Kretschmann, der als junger Lehrer selbst einmal vom Berufsverbot bedroht war, findet nach eigenen Worten vor allem auch die wissenschaftliche Aufarbeitung interessant. Zum Hintergrund: Am 28. Januar 1972 beschlossen der damalige Bundeskanzler Willy Brandt und die Ministerpräsidenten der Länder die „Grundsätze zur Frage der verfassungsfeindlichen Kräfte im öffentlichen Dienst“. Demnach konnte nur Beamter sein und werden, „wer die Gewähr dafür bietet, dass er jederzeit für die freiheitlich demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes eintritt“. Zunächst reichte die Mitgliedschaft in einer vom Verfassungsschutz beobachteten Partei für ein Berufsverbot. Jahre später schafften die Länder die Erlasse nach und nach ab. Baden-Württemberg verzichtet erst seit 1991 auf die sogenannte Regelanfrage beim Verfassungsschutz.