Sicherheit und Justiz

Fachgespräch: Was ist GRÜNE Innenpolitik?

Sicherheit ist ein menschliches Grundbedürfnis. Sicherheit ist Lebensqualität. Sicherheit ist zu­nehmend auch ein Standortfaktor. Die Fälle von Terroris­mus, Gewalt und Einbruchskriminalität haben die Sicherheitsdebatte der vergangenen Monate und Jahre geprägt. Doch dieser enge Sicherheitsbegriff wird aus grüner Sicht dem Thema nicht gerecht.

Gemeinsam mit Expert*innen ist unsere Fraktion mit einem Fachgespräch deshalb der Frage nachgegangen:  „Was ist GRÜNE Innen- und Sicherheitspolitik?“ Zu Gast waren Katharina Schulze, Fraktionsvorsitzende und innenpolitische Sprecherin der Fraktion GRÜNE in Bayern, Armin Bohnert, stellvertretender Leiter der Direktion Polizeireviere im Freiburger Präsidium und Vorsitzender von PolizeiGrün e.V., Nicolai Growe von Neue Richter Vereinigung und RechtGrün e.V., Dr. Jan Fährmann von der Hochschule für Wirtschaft und Recht in Berlin sowie Lea Elsemüller, der Landessprecherin der Grünen Jugend und Netzpolitik-Expertin.

 

Innere Sicherheit muss neu definiert werden, wir müssen agieren und sie selbst gestalten!“, eröffnet Uli Sckerl, innenpolitischer Sprecher unserer Fraktion das Fachgespräch. „Seit wenigen Tagen hat Helsinki die erste grüne Innenministerin in Europa. Das muss unser Anspruch sein!“,

 „Grün und Innenpolitik – das passt!“, ist auch Katharina Schulze, grüne Fraktionsvorsitzende aus Bayern überzeugt. Sie ist Mitautorin des grünen Impulspapieres „Mit Sicherheit für den freiheitlichen Rechtsstaat“. Grüne Innenpolitik basiere auf folgenden drei Grundlagen: Effektivität, Ganzheitlichkeit und analysegestütztem Handeln. Gerade der ganzheitliche Ansatz ist ihr wichtig: „Wir müssen viel früher ansetzen: Eine elektronische Fußfessel an sich verhindert keinen Anschlag.“ Auch Sckerl betont: „Sicherheit im Wohnumfeld kann ein einzelner Akteur nicht gewährleisten. Effektive Präventionsarbeit im öffentlichen Raum setzt das aktive Zusam­men­wirken vieler gesellschaftlicher Kräfte voraus.“ Für Schulze besonders wichtig: die föderale Zusammenarbeit stärken. „Der Terror endet weder an der bayrischen noch an der baden-württembergischen Grenze. Die Polizeibehörden, die Landesbehörden für Verfassungsschutz, sowie der Bundesnachrichtendienst müssen besser zusammenarbeiten. Wir müssen uns überlegen, wo es Sinn macht, Kompetenzen zusammenzulegen oder abzugeben. Auch die polizeiliche Zusammenarbeit innerhalb Europas muss gestärkt werden.“, findet Schulze. „Die Polizei muss bunter und weiblicher werden. Nur so kann sie die Gesellschaft besser widerspiegeln.“, erklärt sie. Des Weiteren fordert Schulze mehr Bürgernähe, besonders im digitalen Zeitalter. Sie plädiert für eine virtuelle Polizeiwache, bei der man Anzeigen rund um die Uhr einreichen kann und immer einen Ansprechpartner findet. Resümierend sagt sie: „Die Polizei kann nicht der Ausputzer für alle gesellschaftlichen Probleme sein. Das sind auch Aufgaben der Schulen, Ämter und Kommunen. Für eine besserfunktionierende Polizei braucht man gute Ausstattung, mehr Ressourcen, Geld und Personal.“

Den Sicherheitsbegriff ausweiten – das wünscht sich auch Armin Bohnert, stellvertretender Leiter der Direktion Polizeireviere beim Polizeipräsidium Freiburg. Er plädiert an die Politik: „Die Gesetzgebungsschraube ist endlich! Gerichte fangen an, gegen die Polizeigesetze einzuschreiten. Wir müssen mit diesem Wettlauf aufhören!“ Auch die „Stellschraube“ Personalaufstockung sei kein Allheilmittel. Mehr Polizisten und Polizistinnen bedeute nicht automatisch mehr Sicherheit. Da müsse klug gesteuert werden. Zustimmung gibt es auch beim Thema grenzüberschreitende Zusammenarbeit: „Die Einbruchskriminalität ist gefallen, an den Grenzen ist sie aber deutlich höher. Wir müssen die Abkommen mit den Nachbarländern an die heutige Zeit anpassen.“

Diskutiert wurde auch über das Thema Digitalisierung. Nicolai Growe, Mitglied der Neuen Richter Vereinigung und RechtGrün e.V., fordert hier mehr Tempo. Ähnlich wie bei der Polizei gebe es auch in der Justiz einen Aufholungsbedarf in Sachen Digitalisierung. Da seien enorme Effizienzgewinne möglich. Er plädierte außerdem dafür, den Schwerpunkt in Ausbildung und Weiterbildung stärker auf Softskills zu verlagern - heißt: mehr Excel, weniger Schießtraining.

Dr. Jan Fährmann unterrichtet angehende Polizist*innen an der Hochschule für Wirtschaft und Recht in Berlin. Ihn beschäftigt vor allem das durch die technischen Möglichkeiten veränderte Freiheitsverständnis: „Während der 68er-Bewegung hat man sich über eine simple Volkszählung aufgeregt. Heute wären das Peanuts.“ Mit seinem Gutachten „Kriterien für Muster-Polizeigesetze aus rechtsstaatlicher und bürgerrechtlicher Perspektive“ hat er den aktuellen Stand des Polizeirechts in Deutschland analysiert. Laut Fährmann habe die Polizei immer mehr Eingriffsbefugnisse. Er kritisiert, dass die Gefahrenabwehr oft zur vorverlagerten Strafverfolgung wird. „Rechtsstaat und Bürgerrechte stehen nicht mehr im Verhältnis: Jeder Bürger und jede Bürgerin ist ein potentielles Risiko. Dadurch wird das essentielle Vertrauensverhältnis zwischen Polizei und Bürger*innen gefährdet.“ 

Lea Elsemüller, Sprecherin der Grünen Jugend Baden-Württemberg, stellte den Leitantrag der Jugendorganisation zum Polizeigesetz II vor. Ihre Forderung: Man solle das Sicherheitsgesetz alle fünf Jahre anschauen und gegebenenfalls überarbeiten. Die Netz-Expertin aus Tübingen setzte sich besonders mit der Quellen-Telekommunikationsüberwachung (Quellen-TKÜ) auseinander. Laut Elsemüller greife dieses Mittel erheblich in die Grundrechte der Bürger*innen ein. Das Problem: Bisher fehle der Polizei ein Programm, welches die Fähigkeit besitze, trennscharf herauszufinden, was durchsucht werden dürfe und was nicht.

Die anschließende Diskussionsrunde mit den Teilnehmer*innen wurde von unserer polizeipolitischen Sprecherin, Petra Häffner, eröffnet. Sie betont: „Wir haben intensiv am Verhältnis zwischen Bürger*innen und Polizei gearbeitet– auch nach den Erfahrungen des Polizeieinsatzes im Schlossgarten. Da hat sich viel getan in den letzten Jahren, zum Beispiel mit unserem Bürgerbeauftragten, der als niedrigschwellige Anlaufstelle für Probleme zwischen Bürger*innen und Polizei zur Verfügung steht.“ Es sei aber nicht hinnehmbar, wie wenig Frauen in der Polizei seien: „Es ist gerade mal eine Frau unter den 31 Polizeipräsidenten hier im Land.“

Im Anschluss hatten die Zuhörer*innen die Möglichkeit in der Diskussion mit den Expert*innen ihre Fragen zur Sicherheitspolitik loszuwerden. Im Mittelpunkt standen dabei folgende Fragen: Wie kann eine bürgernahe Polizei gelebt werden? Wo sind die Grenzen der intelligenten Videoüberwachung? Was passiert mit dem bayerischen Polizeiaufgabengesetz und wie unterscheidet sich die Gesetzgebung in Baden-Württemberg davon?

 

Den Link zum Interview von Schulze und Sckerl der Schwäbischen Zeitung gibt es hier.