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Hilfe statt Strafe - Fachgespräch zur Substitutionsbehandlung

"Substitutionsbehandlung, die dem Patienten hilft" - zu diesem Thema diskutierten Fachleute mit unserem suchtpolitischen Sprecher Josha Frey. Er erläutert warum die Behandlung mit Ersatzstoffen einen wichtigen Baustein in der Suchthilfe darstellt und welche Probleme es noch gibt. 1. Warum ist die Behandlung mit Ersatzstoffen (wie z.B. Methadon statt Heroin) neben anderen Möglichkeiten wichtig in der Suchtbehandlung?

Suchterkrankungen verlaufen in der Regel zyklisch und nicht linear. Das bedeutet, dass für einen Ausstieg aus diesem Suchtkreislauf verschiedene Therapieangebote nötig sind, die jeweils auch die verschiedenen Phasen der Suchtentwicklung berücksichtigen. Die Substitutionstherapie stellt eine mögliche Behandlungsform vor allem für chronifizierte Abhängigkeitserkrankungen dar. Sie trägt vornehmlich dazu bei, bei zuvor intravenösem Opiatkonsum gesundheitliche Risiken, wie zum Beispiel HIV- oder Hepatitis-Erkrankungen, zu mindern. Sie ermöglicht unter bestimmten Rahmendbedingungen, dass diese Menschen ein Leben trotz Opiatabhängigkeit führen können, das möglichst viel Teilhabe an der Gesellschaft und Lebensqualität gewährleistet. Hierzu ist das vernetzte interdisziplinäre Zusammenspiel von sozialen und medizinischen Hilfen für die Betroffenen äußerst wichtig. 2. Vor welchen rechtlichen und praktischen Problemen steht man momentan in Baden-Württemberg?

Einzelne bundesgesetzliche Regelungen im Betäubungsmittelgesetz (BtMG) und in der Betäubungsmittelverschreibungsmittelverordnung (BtMVV) müssten aus meiner Sicht angepasst werden, um eine flächendeckende Versorgung in Baden-Württemberg zu gewährleisten. In ganz Deutschland gehen viele Ärzte, die Substitutionstherapie anbieten, in den nächsten fünf Jahren in Rente und der „Nachwuchs“ fehlt. Dies trifft vor allem die ländlichen, aber auch in Einzelfällen die städtischen Regionen in Baden-Württemberg. Ich halte Fahrtwege von PatientInnen zu ihrem Substitutionsarzt, die über eine Stunde dauern, für nicht zumutbar und praktikabel. Dies behindert die Arbeitsaufnahme dieser PatientInnen und allgemein die Teilhabemöglichkeit. 3. Zu welchem Ergebnis kam die Runde beim Fachgespräch? Obwohl die grün-rote Landesregierung schon mehrfach beim zuständigen Bundesgesundheitsministerium mit konkreten Verbesserungsvorschlägen vorstellig wurde, sind dort in den vergangenen vier Jahren die nötigen rechtlichen Anpassungen nicht vorgenommen worden. Wir sollten hier ernsthaft eine Bundesratsinitiative ins Auge fassen, damit sich wieder mehr Ärztinnen und Ärzte bereit erklären, diese Therapieform anzubieten. Außerdem sollten einige gesetzliche Widersprüche und Hemmnisse beseitigt werden, die sich im Laufe der letzten Jahrzehnte überholt haben. Die Rolle und Bezahlung von Ärztinnen und Ärzten, psycho-sozialen BeraterInnen und Apotheken müssen von den jeweiligen Leistungserbringern dringend überprüft werden. Daneben wurden aber ganz praktische Vorschläge gemacht, die einfach umzusetzen sind, wie zum Beispiel Folgender: in den Justizvollzugsanstalten befinden sich ca. 400 Menschen in Substitutionstherapie und viele Insassen sind suchtgefährdet. Die WHO geht von einem mehr als 100fach erhöhten Sterberisiko für drogenabhängige, rückfällige gewordene Haftentlassene in den ersten Wochen nach Haftentlassung aus. Diese Sterbefälle kommen häufig durch unbeabsichtigte Überdosierungen zustande. Es sollte von Seiten der Justizvollzugsanstalten deshalb auf ein gutes Übergangsmanagement, aber auch darauf geachtet werden, dass nicht an einem Freitag entlassen wird.