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Die Zukunft der Pflege in Baden-Württemberg

©Daniel Karmann/dpa

Die  Menschen in Baden-Württemberg werden immer älter. Der Anteil der über 65-jährigen hat sich seit 1960 nahezu verdoppelt. Senior*innen möchten oft in ihrer vertrauten Umgebung bleiben, die Jüngeren ziehen in die Städte, Familiennetzwerke lösen sich. Das bedeutet für den ländlichen Raum einen Strukturwandel, der bereits in vollem Gange ist. Unterstützungsbedürftige Menschen sind auf ein pflegerisches und medizinisches Netzwerk angewiesen, das in Ballungsräumen dichter gestrickt ist als auf dem Land. Bärbl Mielich erklärt, was die Regierung tut und noch tun kann, um diesem Trend entgegen zu wirken. Sie wirkte als Obfrau der Grünen in der Enquetekomsission Pflege des Landtags. Wie können wir sicherstellen, dass die Menschen in Baden-Württemberg auch im Alter selbstbestimmt leben? Mielich: Wir brauchen mehr kleine flexible Angebote   in der Pflege. Wir favorisieren darum die Einrichtung von Wohngruppen und wollen diese einbinden in eine  Quartiersentwicklung. Das Ziel ist ein lebendiger sozialer Raum, mit dem sich die Bewohner identifizieren – ein Dorf oder ein Stadtteil. Bürgerinnen und Bürger sollen unterstützt werden, diesen Raum so zu gestalten, dass auch ältere Menschen und Menschen mit Unterstützungsbedarf in ihrem vertrauten Wohnumfeld bleiben können. Ältere Menschen sollen Teil des sozialen Lebens bleiben, eingebunden in ein soziales  Miteinander, in dem Viele Verantwortung füreinander übernehmen Bei den Quartierskonzepten geht es eben nicht nur um Wohnraum, sondern um ein aktives Miteinander. Es gibt bereits einige Projekte im Land, die genau so funktionieren. Zum Beispiel die Gemeinde Eichstetten  am Kaiserstuhl. Dort gibt es  16 Wohnungen für ältere Menschen und viele Möglichkeiten zum generationenübergreifenden Austausch. Die Bürger haben diese Entwicklung selbst in die Hand genommen und sich in einem Verein zusammengeschlossen. Daraus haben sich andere Angebote, wie eine Wohngruppe für Menschen mit Demenz und ein inklusive betriebenes Café entwickelt. Das  Dorfleben ist auch dadurch lebendiger geworden  und auch kleine Dorfgeschäfte existieren wieder. Das Beispiel zeigt: Das alles funktioniert nur, wenn sich eine Bürgergemeinschaft von Beginn an engagiert. Wenn die Gestaltung von den BürgerInnen getragen wird. Dafür wollen wir die Rahmenbedingungen verbessern. Ein Beispiel dafür sind ehrenamtlich geführte Dorfläden, für deren Eröffnung es geringere bürokratische Hürden geben muss. Darin passt sich die bereits vollzogene einfachere Pflege in selbst organisierten Wohnformen ein. Das neue Wohn- und Teilhabegesetz vereinfacht das Wohnen in Pflege- und Behinderten-WGs als Alternative zu einer Heimunterbringung. Eine Koordinierungsstelle des Landes unterstützt Betroffene, Träger und Kommunen bei der Umsetzung solcher Modelle. Wir streben außerdem eine bessere Vernetzung der einzelnen Pflege- und Betreuungsdienste an. Mehr-Generationen Häuser sind zudem ein attraktives Angebot. Die verschiedenen Generationen unterstützen  sich untereinander, etwa bei der Kinder- oder Seniorenbetreuung. Ziel ist es, eine lebendige Gemeinschaft zu entwickeln. Insbesondere Eineltern-Familien  bietet diese Form des Zusammenlebens viele Vorteile. Auch die Jungen profitieren von ihren neuen „Wahlverwandtschaften“ mit Großeltern.  Bei den Älteren verhindert die Gemeinschaft Einsamkeit und ermöglicht ihnen, bis ins Alter sinnvolle Aufgaben für ihre Mitmenschen wahrzunehmen und aktiv zu bleiben. Ein aktives Sozialleben fördert die psychische und physische Gesundheit. Wie muss die Ausbildung und das Berufliche Angebot für Pflegekräfte verändert werden? Wir wollen eine Teil-Akademisierung der Gesundheitsberufe und weg von der Konzentration auf den Arzt. Das heißt konkret - es wird neue Studiengänge für Pflegeberufe,  Hebammen, und  Physiotherapeuten geben. Die verschiedenen Gesundheitsberufe wie Ärzte, Physiotherapeuten, Hebammen  und Pfleger besuchen gemeinsame Lehr-Veranstaltungen und wissen um die Kompetenzen der anderen. So ist eine Zusammenarbeit auf Augenhöhe möglich und die einzelnen, akademisch ausgebildeten Fachkräfte können in ihrem Bereich eigenständig diagnostizieren und behandeln. Das heißt, wenn etwa eine studierte Fachkraft mit medizinischen Kenntnissen auf einer Pflegestation auf dem Land einen Patienten mit Atembeschwerden hat, dann kann sie direkt handeln und die Atemunterstützung einsetzen. Ihre akademische Ausbildung befähigt sie zu einer Diagnose, die sonst erst am nächsten Tag ein Arzt hätte stellen dürfen. Dieser Ansatz entlastet die Ärzte, beschleunigt die Hilfe für die Patienten und macht zudem die einzelnen Berufswege attraktiver. In der Pflege streben wir einen Akademisierungsgrad von ca. 10 bis 20 Prozent an, bei den PhysiotherapeutInnen und Hebammen einen Grad von 100% Was kann die Enquete-Kommission Pflege des Landtages leisten? Eine Enquete-Kommission denkt in langen Linien und beschäftigt sich mit  Fragen zu übergeordneten Themen. Dabei sind unterschiedliche juristische, ökonomische, soziale oder ethische Aspekte wichtig. Sie soll möglichst  überfraktionell, gemeinsame Position zu dem komplexen Thema Zukunft der Pflege erarbeiten. Am Ende der Legislaturperiode verfasst sie einen abschließenden Bericht mit Handlungs-Empfehlungen für die Regierungsarbeit der nächsten 10-20 Jahre. Quartiersentwicklung und Akademisierung sind dabei unsere grünen Schwerpunkte, die wir dabei setzen. Die Enquete-Kommission hat mittlerweile die Arbeit beendet und veröffentlicht ihren Abschlussbericht am 27. Januar. Mehr Informationen dazu in der Pressemitteilung.