Landesamt für Verfassungsschutz muss besser kontrolliert werden
Aktenvernichtung, mangelnde Koordination und fehlgeleitete V-Leute - Verfassungsschützer haben einen schweren Vertrauensverlust erlitten. In Baden-Württemberg sorgte unter anderem die KKK-Affäre für Aufsehen. Die Fraktion Grüne hat Eckpunkte erarbeitet, wie die Landesbehörde in die Zukunft gehen könnte. Einführung Rechtstaatlichkeit, Transparenz und parlamentarische Kontrolle gehören zu den wichtigsten Grundsätzen unserer demokratischen Grundordnung. Resultierend aus den Erfahrungen der Weimarer Republik ist der Verfassungsschutz als Instrument einer wehrhaften Demokratie eingerichtet worden. Das Spannungsverhältnis zwischen dem Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel und Bürgerrechten stand bzw. steht dabei im Fokus der politischen Debatte. Die aktuellen Vorfälle um die Mordserie der rechtsterroristischen Gruppe Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) haben bundesweit das Versagen der Geheimdienste und erheblicher Teile unserer Sicherheitsstruktur zu Tage gefördert und eine tiefe Vertrauenskrise der Bevölkerung zum demokratischen Rechtstaat erzeugt. Vor diesem Hintergrund muss der Verfassungsschutz generell auf den Prüfstand gestellt und in einem anderen Geist ausgerichtet werden. Eine Stärkung verfassungsfeindlicher Bestrebungen durch Aktenvernichtung, mangelnde Koordination, fehlgeleitete V-Leute und Gelder des Verfassungsschutzes muss auf jeden Fall künftig ausgeschlossen sein. Es stellt sich die grundsätzliche Frage, inwieweit der Verfassungsschutz in seiner jetzigen Rolle, Struktur und Ausstattung den gegenwärtigen Anforderungen überhaupt gerecht werden kann. Welche Aufgaben stellen sich in diesem Zusammenhang für Baden-Württemberg? Vorrangig sind das Wiederherstellen von Vertrauen in der Bevölkerung und die volle Unterstützung am Prozess zur Änderung der Strukturen des Verfassungsschutzes in Deutschland. Zuletzt wurde bekannt, dass ein Beamter des Landesamtes für Verfassungsschutz (LfV) im Jahre 2002 eine Telefonüberwachungs-Maßnahme (TÜ) dem damaligen Chef des Ku-Klux-Klans in Baden-Württemberg mitgeteilt und damit Geheimnisverrat begangen haben soll. Dienst- oder strafrechtliche Konsequenzen erfolgten nicht, der Beamte wurde lediglich an eine andere Dienststelle abgeordnet. Auch eine fortwährende Überprüfung nach Zeitablauf, ob die Voraussetzungen für die unterbliebene Ahndung noch vorliegen, fand nicht statt. Neben diesem Vorgang stellen sich zudem Fragen zu Verbindungen zwischen dem Ku-Klux-Klan und dem Verfassungsschutz. Wir fordern weiterhin eine umfassende Aufklärung hinsichtlich dieser Fragen. Kurzum: Es geht um die Benennung und Lösung struktureller Systemfehler des Verfassungsschutzes. Wir brauchen eine Debatte über die Reform der gegenwärtigen Sicherheitsstruktur und die Frage, welchen konkreten Nutzen ein demokratischer Rechtsstaat von ihr erwarten muss. Für die Fraktion GRÜNE stellt sich nach alledem vor allem die Frage nach der Effizienz des Verfassungsschutzes. Es muss sichergestellt sein, dass die für den Verfassungsschutz eingesetzten personellen und sachlichen Mittel zu einer wirksamen Bekämpfung aller Bedrohungen der Demokratie führen. Wir wollen eine größere Transparenz und eine Stärkung der Kontrolle durch das Parlament. Eine breitere Diskussion über Gefahrenquellen und den Einsatz der geeigneten Instrumente muss Ziel einer umfassenden Reform des Verfassungsschutzes sein. Unsere Vorschläge für Baden-Württemberg Einrichtung eines parlamentarischen Kontrollgremiums In einem ersten Schritt sollte zur Stärkung der Kontrolle durch die Öffentlichkeit ein parlamentarisches Kontrollgremium (PKG) in BW eingeführt werden, wie es in allen anderen Bundesländern schon länger besteht. Bislang erfolgt die Kontrolle des LfV lediglich durch eine in der Regel halbjährliche Unterrichtung des Ständigen Ausschusses. Dies wird einer effektiven Kontrolle des Verfassungsschutzes durch Parlament und Öffentlichkeit nicht mehr gerecht. Alle Maßnahmen zu einem wirksamen Schutz der Verfassung und der Bevölkerung müssen ergriffen werden, damit abgekapselte Systeme im Verfassungsschutz nicht entstehen können. In dem PKG sollten die bisherigen parlamentarischen Zuständigkeiten für die Kontrolle aller Verfassungsschutz-Aktivitäten gebündelt und um Kontrollrechte nach Vorbild anderer Länder erweitert werden. Eine Integrierung des G10-Kontrollgremiums ist anzustreben. Zu prüfen ist auch, ob diesem Gremium über die nachträgliche Kontrolle des Verfassungsschutzes hinaus, Entscheidungen über die grundsätzliche Ausgestaltung des Verfassungsschutzes (Gefahrenspektrum, einzusetzende Instrumente, Anforderungen an V-Leute) übertragen werden kann. Nach Vorbild Bremens könnte das PKG auch über den konkreten Einsatz von V-Leuten mitbestimmen, indem ohne Zustimmung der Abgeordneten kein Quelleneinsatz erfolgen dürfte. Die Schaffung eines PKG stellt einen Zwischenschritt im Hinblick auf den Umbau des Verfassungsschutzes dar. Es ermöglicht, dass der Landtag umfassender Einblick in den Verfassungsschutz erhält und damit weitere Schritte zur Neuausrichtung des Verfassungsschutzes einleiten kann. Wir haben in dieser Sache den Verfahrensvorschlag des IM aufgegriffen und zu einer interfraktionellen Arbeitsgruppe eingeladen. Umfassende Aufgabenkritik Die derzeitige Struktur und Ausstattung des LfV muss anhand der bestehenden Herausforderungen (Bereiche Cyberkriminalität, Islamismus und Links- und Rechtsextremismus) einer umfassenden Aufgabenkritik unterzogen werden. Anhand der Ergebnisse dieser Überprüfung müssen vom Innenministerium Vorschläge für eine Umstrukturierung vorgelegt werden. Wir begrüßen in diesem Zusammenhang die Einrichtung einer Projektgruppe des IM mit dem Ziel, die Organisation des Verfassungsschutzes im Lande zu überprüfen und Vorschläge für die Neuausrichtung vorzulegen. Im Vordergrund sollte dabei die optimale Nutzung der vorhandenen Strukturen stehen. Zudem sollte das Innenministerium eine abstrakte Gewichtung der Handlungsfelder des Verfassungsschutzes vornehmen. Der Verfassungsschutz sollte seine Tätigkeit insbesondere im politischen Bereich auf die Beobachtung solcher Organisationen beschränken, bei denen konkrete tatsächliche Anhaltspunkte für eine Gefährdung staatlicher Strukturen oder der Sicherheit der Bevölkerung bestehen. Zu den Aufgaben gehört auch die Überprüfung der personellen Situation beim Landesamt. Künftige Organisationsform des Verfassungsschutzes Wir reden nicht über die Abschaffung des Verfassungsschutzes, sondern wie ein reformierter Verfassungsschutz künftig organisiert sein muss. Im Mittelpunkt steht dessen effiziente Organisation. In der Diskussion ist diesbezüglich, ob der Verfassungsschutz in die Struktur des Innenministeriums eingegliedert werden könnte. Allerdings müssen die Grundsätze des Trennungsgebots zwischen Verfassungsschutz und Polizei unbedingt beachtet werden. Das ist für uns ein zwingendes Gebot aus den Erfahrungen des Dritten Reichs und des DDR-Regimes. Es ermöglicht eine zusätzliche Kontrolle durch eine zweite Behörde (Prüfung der Verfassungsfeindlichkeit durch Verfassungsschutz; Prüfung der Erforderlichkeit polizeilichen Einschreitens durch die Polizei) und verhindert so, dass "Richter und Henker eine Behörde sind". Weiter stellt sich die grundsätzliche Frage nach der personellen Zusammensetzung/der Rekrutierungspolitik des LfV Eine grundsätzliche Überprüfung der Rekrutierungspolitik des LfV durch das IM ist dringend notwendig – das hat der Vorgang "KKK-Geheimnisverrat" gezeigt. Des Weiteren haben die Vorfälle um die NSU-Mordserie die Tatsache zu Tage gefördert, dass bestimmte Zusammenhänge - wie Ausländerfeindlichkeit - von den Sicherheitsbehörden als Ermittlungsstrang ausgeblendet wurden. Daher spielt die personelle Zusammensetzung der Sicherheitsdienste eine wichtige Rolle. Zudem spiegelt die gegenwärtige personelle Zusammensetzung nicht die gesellschaftliche Realität wider. Besonders Migrantinnen und Migranten sind im Allgemeinen sehr gering vertreten und in Leitungsfunktionen kaum nachweisbar. Einführung von Anforderungen an V-Leute und Richtlinien für das Führen/Verhaltensanforderungen für V-Leute Die Vorkommnisse um den "KKK-Geheimnisverrat" und Hinweise auf Verbindungen des Verfassungsschutzes zum KKK machen es zwingend erforderlich, einheitliche Standards für Bund und Länder für die Anwerbung und die persönlichen Voraussetzungen von V-Leuten sowie Richtlinien für das Führen von V-Leuten aufzustellen. Wir begrüßen daher, dass die Innenministerkonferenz diese Forderungen als Eckpunkt aufgenommen hat und erwarten den diesbezüglichen Bericht zur Herbst-IMK mit konkreten Ausgestaltungsvorschlägen hierzu. Darüber hinaus ist eine verstärkte Koordination zwischen Bund und Ländern beim Führen von V-Leuten erforderlich – ein V-Leute-Register wie derzeit diskutiert wäre ein wichtiger Schritt in diese Richtung. Veröffentlichung von Verfassungsschutzberichten Die Verfassungsschutzberichte bestehen zum überwiegenden Teil aus öffentlich zugänglichen Quellen (Zeitungsberichte, öffentliche Mitgliederzeitungen). Dies wirft die Frage nach der Notwendigkeit/Beibehaltung der Berichte in dieser Form auf. Zusätzliche Transparenz im Bereich des Verfassungsschutzes könnte die Errichtung einer externen Beschwerdestelle schaffen, um Fehlentwicklungen innerhalb des Amtes frühzeitig zu erkennen und zu beseitigen. Wir unterstützen zudem den Maßnahmenkatalog des IM als Lehren aus dem "Geheimnisverrat"-Vorgang, insbesondere in Bezug auf die Ahndung straf– oder dienstrechtswidrigem Verhalten, Sicherheitsüberprüfungen vor Dienstantritt, Wiederholungsüberprüfungen, Stärkung des demokratischen Selbstverständnisses in der Aus- und Fortbildung sowie die Optimierung der internen Kommunikationsstrukturen zwischen personalverwaltender Stelle und dem Geheimschutz.