Neue Impulse für mehr Fachkräfte: „Ideenwerkstatt“ in BW

Stuttgart – Wie können wir Menschen für die Stellen gewinnen, an denen Bedarfe besonders groß sind? Was ist zu tun, um Lücken zwischen Ausbildung oder Studium und Arbeitsleben zu vermeiden? Und: Wie vermitteln wir die ganze Bandbreite an möglichen Berufen?

Unter der Federführung von Fraktionsvorsitzenden Andreas Schwarz hat sich die Grüne Fraktion in den vergangenen Monaten intensiv mit den drängenden Fragen des Fachkräftemangels auseinandergesetzt. Nach einem Abschlussgespräch am vergangenen Donnerstag (29. Juni) legen die Abgeordneten und Akteure nun die Ergebnisse dieser „Ideenwerkstatt“ vor.

Die „Ideenwerkstatt“ ist ein Format, das Akteure aus verschiedenen Bereichen zusammenbringt und einen Raum für kreative Lösungsansätze bietet. Seit Ende Januar hatte Schwarz mehr als zwei Dutzend Vertreter von Wirtschaftsverbänden, Gewerkschaften, Sozialwesen, Bildung und Hochschulen dafür gewonnen – und alle relevanten Akteure an einen Tisch gebracht.

Alle teilen das gemeinsame Interesse, mit vereinten Kräften passgenaue Lösungen zu entwickeln, wie Baden-Württemberg mehr Fachkräfte gewinnen kann. Dahinter steckt das geteilte Ziel, den Wohlstand in Baden-Württemberg auch in Zukunft zu sichern und den Standort für nationale und internationale Fachkräfte attraktiver zu machen.

Nachdem mehrere Treffen stattgefunden haben, hat die „Ideenwerkstatt“ rund 20 Empfehlungen zu den Schwerpunkten „Ausbildung und Studium“, „Strukturelle Voraussetzungen“ und „Fachkräftegewinnung aus dem Ausland“ entwickelt. Ziel ist, dass die Erkenntnisse der Arbeitstreffen als frische Impulse in die neue Fachkräftestrategie der Landesregierung eingebracht werden, sagt Fraktionschef Schwarz.

Schwarz: „Uns fehlen jetzt schon Fachkräfte an allen Ecken und Enden. Das wird in Zukunft noch gravierender. Gut ausgebildete Arbeitskräfte sind das Fundament, um den Wohlstand Baden-Württembergs zu sichern und unsere Wirtschaft für die Bedürfnisse von morgen umzubauen.“

Ein Schwerpunkt ist die Förderung von Ausbildung und Studium. „Unsere Ziele im Bereich Ausbildung und Studium sind: früh Orientierung geben, Bedürfnisse identifizieren, Übergänge von Schule bis zum Job nahtlos begleiten und flexible Ausbildungsmodelle fördern“, erklärt Schwarz.

Mit Blick auf den sozialen Bereich sagt Schwarz: „Wir haben sehr viel Arbeitspotenzial, das auf der Strecke bleibt – vor allem bei Frauen, die durch fehlende Kita-Plätze kaum Berufschancen haben oder durch Langzeitarbeitslosigkeit. Deshalb müssen wir auch an strukturellen Voraussetzungen feilen, indem wir Erzieherberufe stärken und somit auch das Angebot an Kita-Plätzen erhöhen können.“ Auch die Fachkräftegewinnung in den Pflegeberufen sei ein wichtiger Hebel, weil viele Menschen weniger oder gar nicht arbeiten, weil sie sich um pflegebedürftige Angehörige kümmern müssen.

Ferner betont er: „Für eine kluge Fachkräftestrategie haben solche Effekte Priorität. Alle, die mehr arbeiten wollen, sollten das auch tun können. Beim Thema Arbeitslosigkeit fehlt es oft an Perspektiven. Für mehr Klarheit brauchen wir auch da bessere Angebote – beispielsweise eine unkomplizierte Teilqualifizierung.“

Baden-Württemberg müsse ein Aushängeschild für die Gewinnung von Fachkräften aus dem Ausland werden. „Deutschland steht in einer starken Konkurrenz zu anderen EU-Ländern. Als modernes Einwanderungsland müssen wir daher internationalen Fachkräften den Weg zum Arbeitsmarkt durch Bürokratieabbau erleichtern. Heißt: Mehr Tempo bei Eingliederungsverfahren, schnellere Anerkennung der Abschlüsse, einfacherer Zugang zu Sprachkursen – oder aber auch die zügige Abschaffung von Gebühren für international Studierende. Wer sich für Baden-Württemberg entscheidet und noch dazu einen Mangelberuf wie Kinderärztin oder Krankenpfleger ausübt, sollte nicht monatelang auf den Anerkennungsbescheid warten müssen! Die Maxime lautet nicht: Wie kann ich abwehren. Sondern: Wie kann ich ermöglichen.“ Notwendig sei zudem ein Kulturwandel in Behörden und Sachbearbeiter mit Englischkenntnissen auf dem Amt. Diese Notwendigkeit bekräftigte jüngst Wirtschaftsweise Monika Schnitzer. Es müsse dafür gesorgt werden, dass Mitarbeiter der Ausländerbehörde Englisch können und es könne nicht erwartet werden, dass ausländische Mitarbeiter für jeden Job deutsch sprechen müssen, sagte Schnitzer gegenüber der Süddeutschen Zeitung.

Zu den wichtigsten Maßnahmen für mehr Fachkräfte zählen:

  • Ausbildung und Studium:
    • Berufsorientierung an Schulen stärken, möglichst ab dem 7. Schuljahr sowie schulbegleitende Pflichtpraktika
    • Teilzeitausbildung stärken und Angebot ausbauen, Erhöhung der Ausbildungs- und Praktikumsplätze in sozialen Berufen – sowie Anreize etwa durch Stipendien oder Wohnheimplätze
  • Strukturelle Voraussetzungen verbessern:
    • Mehr Kitaplätze und bessere Unterstützung von Pflegenden, um Erwerbsbeteiligung, insbesondere von Frauen, zu erhöhen
    • Erzieherberufe attraktiver gestalten: Flexiblere Arbeitszeiten, bessere Vergütung in der Ausbildung   
    • Gegen Langzeitarbeitslosigkeit: Mehr Flexibilität beim Berufswiedereinstieg
    • Bezahlbaren Wohnraum schaffen: Ko-Finanzierung des Bund-Länder-Programms „Junges Wohnen“ sicherstellen und zügig umsetzen, eigenes Landesprogramm für Wohnraumförderung von Azubis prüfen
  • Fachkräftegewinnung aus dem Ausland:
    • Effizienz durch Bürokratieabbau: Einrichtung einer zentralisierten Ausländerbehörde und zentrale Ansprechpersonen nach unmittelbarer Ankunft (Stichwort: one stop agency)
    • Schnellere Anerkennung von ausländischen Berufsabschlüssen
    • Deutschkurse ausbauen und Angebot niederschwelliger gestalten

Zahlen und Fakten zum Fachkräftemangel:

Der Fachkräftemangel ist ein drängendes Problem in Deutschland, das durch demografische Veränderungen weiter verschärft wird. Qualifizierte Fachkräfte tragen einen enormen Beitrag zum wirtschaftlichen Erfolg und zur internationalen Wettbewerbsfähigkeit Baden-Württembergs bei; sie sorgen dafür, dass die einzelnen Teile des Wirtschaftskreislaufes reibungslos ineinandergreifen – von der Produktion, funktionierenden Lieferketten über die Kinderbetreuung und Pflege bis hin zu einer modernen, funktionierenden Verwaltung. Doch insbesondere das Fehlen von Fachkräften könnte die wirtschaftliche Entwicklung in Deutschland in den kommenden Jahren erheblich bremsen. Die Lage beim Fachkräftemangel spitze sich unter anderem in Süddeutschland zu, schrieb das Bundeswirtschaftsministerium in einer Analyse.

  1. Mehr als 50 Prozent der Unternehmen sehen laut BMWI im Fachkräftemangel die größte Gefahr für ihre Geschäftsentwicklung.
  2. Deutschlandweit fehlten im Dezember 2022 insbesondere Fachkräfte mit einer abgeschlossenen Berufsausbildung (Fachkräftelücke: 306.000 Personen).
  3. Besonders schwer zu finden sind Experten und Expertinnen (Fachkräftelücke: 154.000) und Spezialisten und Spezialistinnen (Fachkräftelücke: 73.000).
  4. Insgesamt beträgt die Fachkräftelücke etwa 533.000 (Quelle der Angaben: Kompetenzzentrum Fachkräftesicherung/Fachkräftereport Dezember 2022).
  5. Wie die Stuttgarter Nachrichten (06.02.2023) berichten, ist jedoch insgesamt von einer erheblich höheren Dunkelziffer auszugehen.
  6. Nach IHK-Angaben nimmt bis 2035 die Zahl der Fachkräfte in Baden-Württemberg um mehr als eine Million ab.

Bis dahin fehlen der BW-Wirtschaft pro Jahr rund 400.000 Fachkräfte.