Europa und Internationales

Ausschussreise in den Westbalkan

Der Zeitpunkt hätte interessanter nicht sein können: am 2. Oktober 2022 wurde in Bosnien und Herzegowina gewählt. Zahlreiche Organe des komplex organisierten Staates, unter anderem das Staatspräsidium sowie Parlamente auf unterschiedlichen Ebenen, standen zur Neubesetzung an. Als die Delegation aus dem Landtagsausschuss für Europa & Internationales am nächsten Tag in Sarajewo eintraf, waren noch nicht alle Stimmen ausgezählt. Dennoch waren die ersten Eindrücke vom Wahlausgang ein hochinteressanter Einstieg in die fünftägige Westbalkanreise, an der sieben grüne MdLs sowie Staatssekretär Hassler teilnahmen. In Sarajewo standen Gespräche mit dem deutschen Botschafter Dr. Fitschen und dem Hohen Repräsentanten für Bosnien und Herzegowina Christian Schmidt auf dem Programm. Immer wieder war die Widersprüchlichkeit und Komplexität des politischen Diskurses im Land Thema: einerseits strukturieren ethnische Zugehörigkeiten noch immer das politische Leben. Noch immer haben Menschen, die keiner der drei im Daytoner Abkommen anerkannten Ethnien angehören, weniger Rechte. Sie sind „die anderen“. Andererseits ist der Zuspruch zur Europäischen Union gerade auf Seiten der Bevölkerung überwältigend groß – das Potenzial der europäischen Perspektive, als bindende Kraft für das Land zu wirken, wurde den Abgeordneten schnell deutlich.

Als besonders beeindruckend empfanden die Abgeordneten die Begegnung mit dem Initiator des Versöhnungsprojektes „Rock School“ in der Stadt Mostar, Organ Maslo. Die Musikschule versteht sich als „safe space“, in dem Jugendliche unterschiedlicher Ethnien zusammenkommen, um zu musizieren. Bei den regelmäßig stattfindenden Konzerten werden auch Begegnungen zwischen den Angehörigen und Familien ermöglicht, die sich vor knapp dreißig Jahren teilweise im Krieg gegenüberstanden.

Aktuelle Herausforderungen in Montenegro

Zweite Station der Reise war die Hauptstadt Montenegros, Podgorica. Der oft als Musterschüler in Sachen EU-Beitrittsprozess bekannte Staat steckt in einer politischen Krise. Nach nur wenigen Monaten im Amt wurde die montenegrinische Regierung im August durch ein Misstrauensvotum gestürzt und ist seitdem nur geschäftsführend im Amt. Hintergrund ist auch eine schwierige Debatte um das künftige Verhältnis zwischen Staat und serbisch-orthodoxer Kirche. Eine Debatte um die Ernennung von Richter*innen des Verfassungsgerichtshofs erschwert die Auflösung der aktuellen Pattsituation. Die Landtags-Abgeordneten diskutierten mit der Vize-Premierministerin und Außenministerin Jovana Marović die Herausforderungen im EU-Beitrittsprozess, insbesondere im Bereich der Rechtsstaatlichkeit und der Reform des Justizwesens.  Bei Gesprächen mit Vertreter*innen der montenegrinischen (Tourismus-)Wirtschaft und Nationalparkverwaltung wurde deutlich, dass es viele Anknüpfungspunkte zwischen Baden-Württemberg und Montenegro gibt. Ein Beispiel ist das geteilte Engagement für den Schutz von Nationalparks in Montenegro und Baden-Württemberg.

Für die Abgeordneten ist nach den vielfältigen Gesprächen klar: dem Westbalkan gebührt unsere besondere Aufmerksamkeit. Die Menschen in Bosnien und Herzegowina und Montenegro wollen in Frieden und Wohlstand leben – eine klare Mehrheit ist überzeugt davon, dass die europäische Perspektive ihnen das am sichersten ermöglichen kann. Wir sollten ihre ausgestreckte Hand annehmen und sie auf ihrem Weg dorthin unterstützen – Land, Bund und EU gemeinsam.

Arbeitskreis und PB für Europa und Internationales am Skadar-See in Montenegro

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