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Mit einem starken Rechtsstaat für mehr Sicherheit und Vertrauen

Beschluss der Fraktion auf der Klausur in Titisee, 13. September 2016:
Baden-Württemberg ist eines der sichersten Bundesländer. Dennoch wachsen in unserer Bevölkerung Ängste vor Terrorismus, Gewalt und Einbruchskriminalität. Menschen fürchten sich vor zunehmender rassistischer Hetze, insbesondere gegen Flüchtlinge und die ehrenamtlichen Unterstützer*innen. Es gibt auch in Baden-Württemberg eine hohe Zahl von Übergriffen auf Flüchtlingsunterkünfte. Nach Paris und Brüssel haben insbesondere der Amoklauf von München und die Anschläge von Würzburg und Ansbach die Bevölkerung tief verunsichert. Die Bedrohung, die in Europa und Deutschland sichtbar geworden ist, erzeugt den Wunsch nach mehr persönlicher Sicherheit. Wir wollen mit geeigneten Sicherheitskonzepten erreichen, dass die Menschen in Baden-Württemberg frei und sicher leben können. Dabei betonen wir: 100 %-ige Sicherheit kann es nicht geben und hat es auch früher nie gegeben. Unsere freie Gesellschaft ist aufgrund ihrer enormen Anziehungs- und Integrationskraft zugleich verletzlich. Diese Errungenschaft der Demokratie werden wir nicht preisgeben. Terrorismus, Gewalt und Einbruchskriminalität sind gesellschaftliche Probleme, die sich nur langfristig eindämmen lassen. Mit gezielten und nachhaltigen Maßnahmen von Polizei, Justiz und mit Präventionsarbeit wollen und müssen wir Bedrohungslagen und Verunsicherung aber auch kurz- und mittelfristig begegnen, Gewalt und Kriminalität zurückdrängen und dem Terrorismus den Nährboden entziehen. Wir bekennen uns in der Regierungsverantwortung uneingeschränkt dazu, dass der Schutz der bei uns lebenden Menschen vor Straftaten und die Gewährung eines Höchstmaßes an innerer Sicherheit zu den Kernaufgaben staatlichen Handelns gehören. Unser Leitmotto ist dabei als Staat stets besonnen zu handeln, den Rechtsstaat zu stärken, Vertrauen zu schaffen sowie die Balance zwischen den Sicherheitsinteressen des Landes und den Freiheitsrechten der Bürger*innen zu wahren. Der Sinn von Demokratie ist, dass wir in Freiheit leben können. Terrorismus effektiv bekämpfen: Wir werden dazu den eingeschlagenen Weg des Vorrangs der Polizeiarbeit fortsetzen. Unsere Polizei hat wesentlich dazu beigetragen, dass in Deutschland große Terroranschläge vereitelt werden konnten.Baden-Württemberg ist gegen die terroristische Bedrohung sehr gut aufgestellt. Mit drei zielgenauen Anti-Terror-Paketen für Polizei und Verfassungsschutz seit den Anschlägen von Paris im Januar 2015 und der grün-schwarzen Koalitionsvereinbarung, zusätzliche 1.500 Polizeistellen zu schaffen, räumen wir der inneren Sicherheit einen hohen Stellenwert ein. Wir werden die Verstärkung der Polizei gezielt und langfristig fortsetzen und verstetigen. Dabei setzen wir nicht auf anlasslosen Generalverdacht gegen Bevölkerungsgruppen und Massendatenüberwachung, sondern bauen auf professionelle und qualitative Ermittlungsarbeit in jedem konkreten Einzelfall terroristischer Bedrohung. Wir prüfen in den nächsten Monaten, ob wir unsere Polizei dafür mit zusätzlichen Ermittlungsbefugnissen ausstatten sollten. Wir haben z.B. mit über 100 Expert*innen im Landeskriminalamt die Voraussetzungen für erfolgreiche Aufklärung gegen die angewachsene Cyber-Kriminalität (z.B. illegale Waffenkäufe im Darknet) geschaffen, die für den Terrorismus Logistik beschafft und das Rückgrat organisierter Kriminalität darstellt. Hier müssen wir weitermachen. Es gibt keinen Anlass Zweifel an der Leistungsfähigkeit unserer Polizei im Kampf gegen den Terrorismus zu haben. Sie ist der Garant für die Sicherheit der Menschen in Baden-Württemberg. In der aktuellen Debatte über Maßnahmen zu mehr innerer Sicherheit ist ein Überbietungswettlauf im Gange. Wir prüfen Vorschläge strikt daran, ob sie wirklich mehr Sicherheit bringen oder nur die Freiheit der Bürger*innen unverhältnismäßig einschränken.  Die „Berliner Erklärung“ der Innenminister von CDU und CSU zur inneren Sicherheit ist eine programmatische Erklärung der Union. In Baden-Württemberg gilt für die Innen-und Sicherheitspolitik der grün-schwarze Koalitionsvertrag. Forderungen zur Abschaffung der doppelten Staatsbürgerschaft, zur Wiedereinführung der Optionspflicht bei hier geborenen Kindern, das Verbot der Vollverschleierung u.a. haben nichts mit innerer Sicherheit zu tun. Keine dieser Maßnahmen hätte auch nur einen der Anschläge in Europa in den letzten Jahren verhindert.Die Stärkung des Zivilschutzes ist bedeutend, darf aber nicht mit dem Kampf gegen den Terrorismus vermengt werden. Einsatz der Bundeswehr im Innern – es gilt das Grundgesetz. Dies betrifft auch die Debatte um einen Einsatz der Bundeswehr im Innern. Innenminister Thomas Strobl hat die Teilnahme von Baden-Württemberg (neben Bayern, Nordrhein-Westfalen und Bremen) an einer gemeinsamen Anti-Terror-Übung von Polizei und Bundeswehr im Februar 2017 angemeldet. Ein Einsatz der Bundeswehr im Inneren im Zuge des Anti-Terror-Kampfes stößt bei uns auf grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedenken. Grundsätzlich gilt für uns: Es gibt einen verfassungsrechtlich erlaubten Rahmen für das Tätigwerden der Bundeswehr im Innern. Bei einem Katastrophennotstand oder einem besonders schweren Unglücksfall wie beim Elbhochwasser gab es in den letzten Jahren immer wieder „Amtshilfe“ der Bundeswehr für Polizei und andere Behörden. Zuletzt unterstützte die Bundeswehr unsere Landesbehörden bei der Erstaufnahme von Flüchtlingen. Diese Unterstützungsleistungen waren immer technischer, unterstützender Natur, wurden von der Polizei u.a. angefordert und fanden unter deren Zuständigkeit statt. Das unterstützen wir auch in Zukunft. Das neue Weißbuch der Bundesverteidigungsministerin stuft nun erstmals eine „terroristische Großlage“ als einen besonders schweren Unglücksfall ein. Die Bundeswehr würde zwar weiterhin der fachlichen Weisung der Polizei unterstehen, aber nun als Teil der vollziehenden Gewalt eingesetzt werden. Hierzu gehörte dann auch der Einsatz von Waffengewalt. Das Bundesverfassungsgericht sieht einen derartigen Einsatz als „ultima ratio“ an. Wir sehen mit Sorge, dass die jetzigen Übungen Vorboten sein könnten, um den Rahmen des Einsatzes der Bundeswehr im Innern zu erweitern. Solche Forderungen werden in der CDU auf Bundesebene und in der CSU aktuell wieder erhoben. Es ist für uns Abgeordnete aber völlig ausgeschlossen, dass über gemeinsame Übungen der Weg für eigene exekutive Rechte der Bundeswehr im Inneren eröffnet wird. Gleichzeitig teilen wir die Kritik der Polizeigewerkschaften vor den Gefahren der Übertragung von polizeilichen Aufgaben an das Militär. Wir sagen ebenso klar: Eine Übung darf keine Ängste bei den Menschen auslösen. Wir lehnen das Auftreten bewaffneter Soldaten im öffentlichen Raum ab. Die Aufgabenteilung zwischen Polizei und Bundeswehr hat in unserer Geschichte begründete gute Gründe. Dies soll auch so bleiben. Eine diesbezügliche Änderung des Grundgesetzes lehnen wir ab. Einbruchs- und Bandenkriminalität eindämmen: Organisierte Wohnungseinbrüche, Rockerauseinandersetzungen, Rauschgiftkriminalität, Zwangsprostitution: die Tätigkeitsfelder der organisierten Kriminalität nehmen zu und machen längst nicht mehr vor Ländergrenzen halt. Die zunehmende Internationalisierung des Verbrechens stellt die Ermittlungsbehörden vor große Herausforderungen. Die organisierte Kriminalität kann mit ihren illegalen Gewinnen und der Reinvestition in die legale Wirtschaft, aber auch mit der zunehmenden Eroberung bestimmter Geschäftsfelder, zunehmend wirtschaftliche Betätigungen und die Grundfesten unserer Gesellschaft bedrohen. Wir werden der Bekämpfung dieser Kriminalitätsphänomene weiterhin besondere Aufmerksamkeit widmen und setzen dabei insbesondere auf die Internationalisierung der polizeilichen Zusammenarbeit. Kooperationsvereinbarungen zwischen den Bundesländern wie die von Baden-Württemberg und Bayern sowie internationale Vereinbarungen wie die von Baden-Württemberg und Georgien sind geeignete Mittel, um gezielt gegen Einbrecherbanden und organisierte Kriminalität vorzugehen. Sicherheit im öffentlichen Raum garantieren. Respektlosigkeit ächten. Wir müssen uns mit dem Phänomen der wachsenden Verunsicherung vieler Menschen im öffentlichen Raum auseinandersetzen und Lösungen finden. Alkoholkonsum, Lärm und Verschmutzung, aber auch sexuelle Belästigungen auf öffentlichen Plätzen in Innenstädten wie Dorfzentren werden zunehmend als Bedrohung oder störend wahrgenommen. Gleichzeitig beklagen Polizei, Feuerwehr und Rettungsdienste Gewalt im Zusammenhang mit starker Alkoholisierung, Beleidigungen und sonstige Respektlosigkeiten. Immer wieder wird auch von Schwierigkeiten bei Rettungseinsätzen berichtet, die durch Schaulustige behindert werden. Das hat uns u.a. veranlasst, in Baden-Württemberg ab Herbst 2016 die BodyCam zu erproben. Wir sind für ein höheres Strafmaß für Straftaten, die sich gegen Polizei und Rettungskräfte richten. In den Kommunen werden das Alkoholverbot im öffentlichen Raum und die Verschärfung von kommunalpolizeilichen Satzungen gefordert. Wir halten die einseitige Verschärfung von Vorschriften u. ä. für keinen erfolgversprechenden Weg, um einem augenscheinlich vorhandenen Trend wirksam zu begegnen. Wir müssen zwischen Zivilgesellschaft und Polizei vermitteln und an der gegenseitigen Akzeptanz arbeiten. Zugleich kann Sicherheit (vor allem die gefühlte Sicherheit) im öffentlichen Raum keine Aufgabe der Polizei sein. Mit der Reform des freiwilligen Polizeidienstes wollen wir ein neues Ehrenamt entwickeln, das zivilgesellschaftliche Verantwortung für sichere öffentliche Räume übernimmt. Gleichzeit muss alles getan werden, um die Bevölkerung von der Integrität der Polizei zu überzeugen. Wir müssen das Vertrauen in die Polizei und ihre Arbeit immer wieder erneuern. Unsere Ziele und Maßnahmen. 

  • Eine starke Polizei. Baden-Württemberg ist gegen die terroristische Bedrohung gut aufgestellt. Wir haben frühzeitig mit speziellen Programmen Antworten auf die organisierte Einbruchskriminalität gefunden. Dies entwickeln wir weiter. Wir arbeiten an neuen Konzepten für sichere öffentliche Räume. Die personelle und sachliche Stärkung der Polizei ist ein zentrales Standbein für alle Bereiche unserer Sicherheits- und Gesellschaftspolitik
  • Stärkung des Landeskriminalamtes mit der Zentralisierung der Ermittlungen im Bereich Terrorbekämpfung und der Bekämpfung von Cyberkriminalität.
  • Schaffung klarer und rechtsstaatlicher Eingriffsbefugnisse für die Polizei zur präventiven Bekämpfung terroristischer Gefahren unter Beachtung der Rechtsprechung des BundesverfassungsgerichtsKeine eigene exekutive Rechte für die Bundeswehr im Innern
  • Stärkung der Polizeipräsenz im öffentlichen Raum: Nachhaltige Verhinderung von Angsträumen; keine Tolerierung von Kriminalitätsbrennpunkten
  • Gesamtkonzept für sichere öffentliche Räume (Schaffung eines neuen Ehrenamtes mit der Einbindung des Erfahrungsschatzes gesellschaftlicher Gruppen)
  • Weiterer Ausbau der Kriminaltechnik, der Kooperation mit anderen Bundesländern und des länderübergreifender Datenaustauschs gegen die organisierte Einbruchskriminalität
  • Wo nötig Vereinsverbote gegen Rockergruppen und rockerähnliche Vereinigungen
  • Ausbau der Einbruchsprävention, auch durch Programme zur nachbarschaftlichen Aufmerksamkeit
  • Konsequente Abschöpfung der durch Organisierte Kriminalität illegal erworbenen Vermögen
  • Aufbau ehrenamtlicher Strukturen im Bereich Sicherheit im öffentlichen Raum (Neuausrichtung des freiwilligen Polizeidienstes)
  • Umsetzung der/des Bürgerbeauftragten/Beauftragten, die / der auch für die Landespolizei zuständig ist.
  • Allgemeine Maßnahmen zur Stärkung der operativen Arbeit der Polizei: Einstellungsoffensive Polizei: Mehr Menschen mit Migrationshintergrund müssen für die Polizei bzw. die Sicherheitsbehörden gewonnen werden, um deren interkulturelle Kompetenz zu stärken
  • Verstärkung der Polizei durch Nichtvollzugs-Personal zur Entlastung von polizeifremden Aufgaben; konsequente Rückführung von Vollzugspersonal in Vollzugsaufgaben
  • Abbau von Aufgaben der Polizei, die von Dritten übernommen werden können
  • Evaluation und sinnvolle Weiterentwicklung der Polizeireform
  • Verstärkung der Präventionsarbeit: Das zweite Standbein der Sicherheitspolitik in Baden-Württemberg heißt Prävention und zwar gegen alle Arten von Extremismus. Wir müssen alles unternehmen, damit junge Menschen nicht in menschenverachtende totalitäre Ideologien abgleiten, seien sie islamistisch oder extremistisch. Prävention kann, was keine Technik kann: Demokratie stärken und Straftaten im Vorfeld verhindern. Wir wollen gruppenbezogene Menschenfeindlichkeit, Radikalisierung und Gewalt dort bekämpfen, wo sie entstehen. Mit der Einrichtung des Kompetenzzentrums zur Koordinierung des Präventionsnetzwerkes (KPEBW), das beim Innenministerium angesiedelt ist, haben wir weitere niedrigschwellige Präventionsprogramme, insbesondere auch gegen Werbeversuche der Salafisten geschaffen. Diese müssen weiter ausgebaut werden. Wir wollen die politische Bildung stärken, um insbesondere jungen Menschen Lust auf Demokratie zu machen. Dazu gehört die Stärkung der Bildungsarbeit der Landeszentrale für politische Bildung und der demokratischen politischen Stiftungen.Wir brauchen den ständigen Dialog mit den Kommunen und zivilgesellschaftlichen Institutionen sowie mit dem Bund, um ein dichtes und erfolgreiches Präventions-Netzwerk zu schaffen.
  • Länderübergreifende Kooperation von Polizei und Sicherheitsbehörden. Verschärfung des EU-Waffenrechts. Wir brauchen in Deutschland eine organisatorische Straffung der Sicherheitsbehörden des Bundes, deren wenig effektives Nebeneinander sich auch auf die Zusammenarbeit Bund-Länder auswirkt. Wir brauchen mehr Personalaustausch und gemeinsame Ermittlungstechniken bei den deutschen und europäischen Sicherheitsbehörden, sowie mehr Austausch sicherheitsrelevanter Daten.

Baden-Württemberg hat ein vitales Interesse an einer europäischen Vernetzung der Polizei und braucht mehr Polizeiangehörige mit internationaler Erfahrung. Verbesserungen im Rahmen des Schengener Informationssystems und von Europol sind geboten um z.B. die Ausreise von Dschihadisten zu verhindern.Wir fordern die Umsetzung der EU-Waffenrichtlinie, damit durch gemeinsame Standards verhindert werden kann, deaktivierte Handfeuerwaffen durch einen Umbau wieder schussfähig zu machen. In den Anschlägen von Paris u.a. und beim Amoklauf von München wurden illegal erworbene Waffen benutzt. Wir benötigen auch hier einheitliche EU-Regelungen. Es ist immer noch viel zu einfach, an illegale Schusswaffen und umgebaute Dekorationswaffen zu gelangen. Zudem brauchen wir eine Verschärfung der Verkaufsbestimmungen von anschlagsfähigen Gefahrenstoffen im Internet und in Baumärkten.