Mut zu Europa

Mut zu Europa

"Haben wir Mut zu Europa! Denn ohne Europa haben wir keine Zukunft", sagte Edith Sitzmann, Vorsitzende der Fraktion Grüne,  in Ihrer Festrede bei der Versammlung der Europa-Union am 21. Juli 2012.

Hier ist die Rede dokumentiert:

Die Europa-Union setzt sich als überparteiliche Bürgerbewegung im europaweiten Netzwerk der Union Europäischer Föderalisten ein für ein geeintes, demokratisches Europa in Frieden, Freiheit und Wohlstand.

Friede und Freiheit sind Werte, die wir heute als gegeben betrachten. Und das ist ein Erfolg der Europäischen Integration. Die  Freundschaft über die Grenzen des Nationalstaats hinweg ist gerade für uns in Baden-Württemberg - mit unseren vielfältigen, gewachsenen Beziehungen zu Frankreich, zu Österreich und zur Schweiz, aber auch zu vielen anderen Regionen Europas –  selbstverständlicher Bestandteil des Alltags geworden. Wir genießen die Freiheiten des Binnenmarkts, wir pendeln als Grenzgänger von unserem Wohnort zu unserem Arbeitsplatz im benachbarten Elsass oder in der Schweiz, wir studieren im Nachbarland und wir können uns als Dienstleister europaweit niederlassen. Wir arbeiten über die Grenzen hinweg zusammen und vernetzen uns als Region – zum Beispile  mit Radwegen im Eurodistrikt Straßburg/Ortenau. All dies ist uns selbstverständlich geworden. All dies ist gelebter Alltag, und so soll es auch bleiben!.

Mit dem Lissabonner Vertrag haben wir Ende 2009 ein Stadium der europäischen Integration erreicht, mit dem wir zwar noch nicht zufrieden sein können, aber mit dem wir unter anderem die Grundrechtecharta verbindlich gemacht haben für alle Unionsbürgerinnen und -bürger. Die Grundrechtecharta führt die allgemeinen Menschen- und Bürgerechte (die Würde des Menschen, Freiheit, Gleichheit, Solidarität, Bürgerrechte) und die wirtschaftlichen und sozialen Rechte  zusammen und  zeigt  eindrücklich die Unteilbarkeit der Grundrechte.

Der Vertrag von Lissabon stärkt darüber hinaus die Handlungsfähigkeit der EU, denn er ermöglicht von wenigen Ausnahmen abgesehen  demokratische Mehrheitsentscheidungen unter den Mitgliedstaaten, statt einstimmiger Beschlüsse und Vetorecht für einzelne. Und gleichzeitig macht er Europa demokratischer, da das Europäische Parlament nun auf fast allen Gebieten gleichberechtigt mit dem Europäischen Rat entscheidet.

Diese Vertiefung Europas wurde allerdings innerhalb weniger Wochen nach Inkrafttreten des Lissaboner Vertrags von der Krise eingeholt. Seither sprechen manche schon über Europa vor allem als „wackelndem Haus am Abgrund“ oder  als „Geldvernichtungsmaschine“. Dem müssen wir alle gemeinsam den Wert unseres Europas entgegensetzen. Wir alle: die Politik, die Bürgergesellschaft und Sie, meine Damen und Herren in der Europa-Union!

Weder Finanzexperten, noch Wissenschaftler , Wirtschaftsweise und auch nicht die Politik haben bis zum heutigen Tage wirksame Mittel und Instrumente gefunden, um die Krise auf Dauer zu lösen. Die aufgespannten Rettungsschirme mit ihren vielen labilen Streben bieten allenfalls kurzfristig  Schutz bis zum nächsten Wolkenbruch. Jede Prognose, der Höhepunkt der Krise sei überwunden, hat sich bisher als falsch erwiesen. Die Lage wird von Tag zu Tag unübersichtlicher. Der aktuell geführte Ökonomenstreit trägt nicht zur Klärung oder Auswegen aus der Krise bei, sondern verstärkt eher noch den Eindruck, dass es keinen Weg aus der Krise gibt. Zu Recht hat der Freiburger Volkswirtschaftsprofessors und Mitglied des Sachverständigenrats, Lars Feld, Auffrufe wie den der ca. 200 Ökonomen als schädlich verurteilt. Emotional vorgetragene Warnungen etwa vor „drastischen Risiken einer Bankenunion“ sind nicht zielführend sondern zerstören weiteres Vertrauen.

Dabei gäbe es ein ganz einfaches Rezept, das aber nur vorher und nicht nachher wirkt: Einfach nicht mehr ausgeben als einnehmen. Immerhin hat sich Europa jetzt mit dem Fiskalpakt die deutsche Schuldenbremse als Vorbild genommen. Sie wurde in der FöKo II, in der zweiten Föderalismuskommission unter Mitwirkung des damaligen baden-württembergischen Minsiterpräsidenten Günther Oettinger, des damaligen grünen Fraktionsvorsitzenden und heutigen Ministerpräsidenten des Landes Winfried Kretschmann und des damaligen Fraktionsvorsitzenden der SPD Wolfgang Drexler  beschlossen und im Grundgesetz festgeschrieben. Wir werden die Verpflichtung zum Abbau der Nettoneuverschuldung auf Null bis zum Jahr 2020 mit rigider Haushaltsdisziplin und auf zum teil schmerzhaften Einsparpfaden hinbekommen, meine Damen und Herren!. Denn wir können nicht von den Krisenländern etwas verlangen, was wir selbst nicht einhalten!

Heute ist die Rede vom Vertrauensverlust der Märkte. Es herrscht Angst vor der Reaktion der Börse auf die Beschlüsse der Krisengipfel oder Entscheidungen des EU-Ministerrats. Was uns in der Politik zu denken geben sollte: Die Menschen sind zutiefst verunsichert. Die Finanzmärkte haben sich entkoppelt vom Gedanken der Dienstleistung für die reale Wirtschaft. Und die große Mehrheit der Deutschen traut der Politik bei der Bewältigung der Eurokrise wenig zu: 74 Prozent waren der Meinung, dass letztlich die Finanzmärkte über die Zukunft des Euro entscheiden - und nicht die Politik (ARD-Deutschlandtrend).

Die Eurokrise hat das Vertrauen in Europa umschlagen lassen in diffuse und leider stark ausgeprägte Vorbehalte gegenüber den europäischen Nachbarn, besonders gegenüber den hochverschuldeten Ländern. Die Angst vor der gemeinsamen Haftung für die Kosten der Krisenbewältigung, Angst vor den bereits spürbaren Veränderungen und Folgen der Krise - wie Inflation, Arbeitslosigkeit, Massenarbeitslosigkeit von Jugendlichen in Spanien und Griechenland  mit mehr als 50 Prozent – diese Angst schlägt zunehmend um in Abwehr gegenüber  „den Anderen“, gegenüber „dem Süden Europas“ oder  „den Nehmern“, für die wir zahlen sollen.

Unser Projekt Europa befindet sich in einer Existenzkrise

In einigen europäischen Ländern und auch bei uns in Deutschland ist ein wachsendes Potenzial an Europaskepsis und Renationalisierung zu beobachten. Nationale Regierungen stellen zunehmend ihre eigenen Interessen vor jedes gemeinsame oder europäische Interesse, ob es um wirtschaftliches Missmanagement in den Mitgliedsstaaten geht oder um die Verletzung von in den EU-Verträgen garantierten Grundrechten.

Und in einigen Ländern  nehmen nationalistische und extremistische Töne e in Wahlkämpfen zu. Man fühlt sich erinnert an die Bilder des Deutschland der 30-er Jahre.

Stabilität ist ein Wert an sich. Auch deshalb stehen wir vor der immensen Herausforderung, eine neue Basis zu finden für den sozialen Zusammenhalt in Europa, für die dringend notwendige Konsolidierung der Haushalte der Mitgliedstaaten und gleichzeitig für Wettbewerbsfähigkeit, für nachhaltiges und Wachstum und für die Schaffung von zukunftsfähigen Arbeitsplätzen in Europa.

Manche meinen nun, die Demokratie sei zu langsam, um schnell genug auf Krisen zu reagieren. Ich bin vom  Gegenteil überzeugt: Ohne eine breite Basis in der Bürgergesellschaft wird das Projekt Europa nicht nachhaltig und nicht zukunftsfähig sein.

Als überzeugte Europäerin weiß ich, dass man Europa nicht an den Bürgerinnen und Bürgern vorbei mogeln kann. Ein Europa der politischen Hinterzimmer, und der Geheimdiplomatie, so wie es von den Regierungen der Euroländer zunehmend praktiziert wird, ist der falsche Weg; auch wenn er den Spitzen der europäischen Regierungen als bequemer erscheinen mag. Das, meine Damen und Herren,  ist nicht das Europa, das wir wollen.

Im Fall des Fiskalpakts und des Europäischen Stabilisierungsmechanismus ESM wurden weder das Europaparlament noch die nationalen Parlamente einbezogen: Das Bundesverfassungsgericht hat nun nach Klage der GRÜNEN erneut festgestellt, dass die Bundesregierung den Bundestag bei wichtigen Beschlüssen zur europäischen Währung nicht außen vor lassen darf. Das ist ein gutes und wichtiges Signal.

Europa ist mit seiner auf Kohäsion/ Zusammenhalt  ausgerichteten Strukturpolitik  von Anfang an eine Gemeinschaft, die explizit den Ausgleich von regionalen Disparitäten anstrebt. Die Instrumente der Strukturpolitik – vor allem der ESF (Europäische Sozialfonds) und  der EFRE (Europäische Fonds für Regionale Entwicklung)  sind ja quasi ein Finanzausgleichssystem, über das strukturschwache Regionen oder Regionen im Strukturwandel bei ihrer Entwicklung unterstützt werden. Gleichzeitig stehen mit den Strukturfonds  aber auch Fördermittel für leistungsstarke  innovative Regionen  wie Baden-Württemberg zur Verfügung, die quasi als Motoren einen wichtigen Beitrag zum Erreichen der Ziele der EU-Strategie 2020 leisten.

Das ist aber etwas anderes als eine „Transferunion“, die von Schieflagen und Spekulanten getrieben wird und die politische Gestaltung nicht verbessert sondern aushebelt. Wir müssen ein Europa der Gestaltenden bleiben und dürfen nicht auf Dauer zu  Getriebenen werden.

Die Krise als Chance begreifen

Das Wort Krise kommt aus dem Griechischen (Verb krínein = trennen, unterscheiden)  und bezeichnet eine „entscheidende Wendung“, eine „ schwierige Situation, die den Höhe- und Wendepunkt einer gefährlichen Entwicklung darstellt.“

Um in diesem Bild zu bleiben: Ein Hoch  lässt sich nicht über längere Zeit halten – weder positiv noch negativ. Bei der Bewältigung der „Eurokrise“ geht es darum, eine hochgefährliche Entwicklung zu stoppen: eine scheinbar grenzenlos steigendee Staatsverschuldung bei fehlenden Impulsen für nachhaltiges Wachstum  und gleichzeitig abnehmender demokratischer Legitimation. Dieses müssen wir nicht nur stoppen, sondern  umkehren.

Gegen den Teufelskreis der Bankenkrise, Staatsverschuldung, Misstrauen der Märkte und in Folge dessen immer höhere Zinsen für die   Krisenländer gibt es leider kein Patentrezept sondern nur eine Politik des langen Atems - nur dadurch entsteht Vertrauen.

Wir stehen einmal mehr an einem kritischen Punkt der Geschichte Europas. Gehen wir rückwärts? Oder gehen wir weitere Schritte, in Richtung einer  Koordinierung und Harmonisierung der Steuer-, Wirtschafts- und Haushaltspolitik der EU- Mitgliedstaaten in einer politischen Union? Gehen wir Schritte zur Neubegründung Europas, getragen von seinen Bürgerinnen und Bürgern!

Ich bin sehr dafür, aber ein Europa auf Pump kann dies nicht sein. Es muss ein Europa der Nachhaltigkeit in allen Bereichen, auch bei den Finanzen sein.

Die Ursachen der Krisen sind komplex und kompliziert. Und einfache Antworten gibt es nicht. Auf die verschiedenen Instrumente und Ansätze zur Krisenbewältigung kann und will  ich hier nicht im Detail eingehen.

Was für Griechenland richtig ist, muss nicht auch für Spanien richtig sein. Für alle gemeinsam gilt aber eines: Wenn Europa immer nur nachsorgend auf jahrzehntelange Fehlentwicklungen reagiert, so gibt es keine schmerzfreien Lösungen mehr. Beispiel Griechenland.

In den letzten zwei Jahren des Rettungspakets gab es einen dramatischen wirtschaftlichen und sozialen Abschwung in Griechenland, Tausende von Unternehmen wurden in der Folge geschlossen. In Griechenland herrscht die größte Hungerwelle seit dem zweiten Weltkrieg: 400.000 Menschen werden von der Kirche ernährt. Eltern bringen ihre Kinder in SOS-Kinderdörfer, weil sie ihnen nichts zu essen geben können. Und die gut ausgebildete Jugend verlässt das Land.

Die Finanzpolitik Griechenland ist ein Skandal, aber was sich nun ereignet bei denjenigen, die dafür nichts können, das ist auch ein Skandal, meine Damen und Herren!

Die Instrumente des bisherigen Krisenmanagements sollen nach den Beschlüssen des letzten Krisengipfels nun flankiert werden durch die Impulse für nachhaltiges Wachstum, für Investitionen, Beschäftigung  und sozialverträgliche Wirtschafts- und Fiskalpolitik.

Der Wachstums- und Beschäftigungspakt, den der letzte Gipfel beschlossen hat,  ist ein wichtiger erster Schritt, um neben der notwendigen Entschuldung auch Perspektiven für nachhaltiges und sozialverträgliches Wachstum zu ermöglichen.

 

Angesichts gedämpfter Wachstumsaussichten in den Krisenländern schrumpfen auch die Investitionen in die Energiewende und den Klimaschutz. Dies birgt ein weiteres Krisenpotenzial: Wenn wir jetzt in Europa den Strukturwandel Richtung Klimaschutz und Ausbau der erneuerbaren Energien nicht zügig einleiten, wird dies global schwerwiegende Folgen haben. Denn die Energieversorgung ist das Innere Gerüst von Wirtschaft und Gesellschaft.

Hier haben wir als Land, das von der Krise bisher vergleichsweise wenig betroffen ist, Verantwortung zu übernehmen. Und das tun wir auch.

Vor dem Hintergrund unserer selbst gesteckten Klimaschutzziele, knapper werdender Ressourcen und steigender Rohstoffpreise spielt der Zugang und Umgang mit Energieressourcen eine immer wichtigere Rolle in Deutschland und ganz Europa . Die Abhängigkeit der EU-Staaten vom Import fossiler Energieträger belastet die Außenhandelsbilanz besonders südeuropäischer EU-Staaten extrem und ist damit eine Ursache dafür, dass Kaufkraft und Wertschöpfung aus den Ländern abfließen.

Allein zwischen Oktober 2010 und September 2011 haben die 27 EU-Staaten fossile Rohstoffe im Wert von über 408 Milliarden Euro importiert.

Die in den EU-Krisenländern eingeleiteten Sparanstrengungen zur Sanierung der öffentlichen und privaten Haushalte führen alleine nicht zur Reduzierung der Schulden. Zur Reduzierung der Leistungsbilanzdefizite benötigen wir vor allem einen grundlegenden

Strukturwandel. Dazu gehört auch eine Reduzierung des Energieverbrauchs und der Ausbau der Erneuerbaren Energien. Investitionen in mehr Energieeffizienz – und dadurch weniger Energierohstoffimporte –sind ein wichtiger doch derzeit kaum genutzter Schlüssel zur wirtschaftlichen Stabilisierung der Staaten in der EU und damit auch ein Beitrag zur Konsolidierung der öffentlichen Haushalte.

Die Landesregierung und der Landtag stehen zu ihrer Verantwortung für Europa. Was können wir beitragen als Land?

Baden-Württemberg ist von allen Bundesländern am stärksten auf Europa ausgerichtet, am stärksten mit den europäischen Ländern und der Eurozone verflochten. Derzeit profitieren wir von der angespannten Situation im Euroraum: Kapital strömt zu, die Zinsen sind anhaltend niedrig, die Finanzierungssituation der Unternehmen und der öffentlichen Haushalte ist günstig und der Euro bleibt schwach, was wiederum die Exportnachfrage ankurbelt.

Unseren im Bundes- und im EU-Vergleich hohen Wohlstand und unsere Wirtschaftskraft auch in der aktuellen Krise haben wir nicht nur dem Fleiß unserer Menschen und ihrer hohen Innovationsfähigkeit zu verdanken, sondern auch der Integration Europas. Der europäische  Binnenmarkt, Rechtssicherheit, die gemeinsame Währung und die mit ihr verbundenen geringen Transaktionskosten sparen der Exportwirtschaft des Landes jährlich einen zweistelligen Milliardenbetrag. Deshalb ist es nicht nur eine politische Verpflichtung, den Euroraum solidarisch zu stabilisieren. Es liegt auch im ureigenen  wohlverstandenen  wirtschaftlichen Interesse des Landes.

Die Grünen stehen als Europapartei von Anfang an für das Europa der Regionen

Die Bedeutung der europäischen Regionen hat seit Gründung der Europäischen Gemeinschaft stetig zugenommen. Im Gleichschritt mit der fortschreitenden Integration Europas auf institutioneller Ebene, und erst recht angesichts der Übertragung von immer mehr Souveränität der Mitgliedstaaten an die europäische Ebene, muss die Beteiligung der Bürgerinnen und Bürger stärker berücksichtigt werden. Viele Richtlinien oder Programme, die in Brüssel beschlossen werden, müssen auf regionaler oder kommunaler Ebene umgesetzt  werden und entfalten ihre Wirkungen unmittelbar vor Ort. Aus diesem Grund ist die Zusammenarbeit aller beteiligten Ebene die Voraussetzung für solides und bürgernahes Regieren in Europa.

Am wirkungsvollsten können wir uns als Region, als Bundesland, mit unseren Kompetenzen in Brüssel Gehör verschaffen, wenn wir uns mit anderen Regionen zusammentun.

Im Rahmen der Kooperation der „Vier Motoren für Europa“-  also der Zusammenarbeit zwischen Baden-Württemberg, Rhone Alpes, der Lombardei und Katalonien -  arbeiten wir bereits seit 24 Jahren als europäisches Netzwerk aus vier wirtschaftsstarken Regionen daran, uns gegenseitig zu stärken und unseren Einfluss in Brüssel auszubauen.

Durch die Krise sind die Vier Motoren-Regionen vor eine doppelte Herausforderung gestellt: Zum einen müssen wir als die dynamischen Wachstums- und Innovationspole unsere Wettbewerbsfähigkeit erhalten und über geeignete interregionale Kooperationen ausbauen .Wir müssen also unsere “Stärken stärken”. Und zum anderen haben gerade wir das Potenzial, dazu beitragen, dass die Entwicklung eines innovativen Wirtschaftssektors einhergeht mit der Stärkung des sozialen Zusammenhalts und der Bekämpfung der sozialen Ausgrenzung auf regionaler Ebene.

Unsere Partner sind bereits ungleich mehr von der Krise betroffen als wir. Nehmen wir etwa Katalonien: Die spanische Wirtschaftskrise hat mittlerweile auch die viertreichste der siebzehn autonomen Regionen erfasst. Auch in Katalonien wird inzwischen rigide gespart – vor allem im Sozialbereich. Die Regionalregierung hat im März ein neues Gesetz beschlossen, das noch über die rigiden Sparprogramme der spanischen Rechtsregierung hinausgeht!  Die Arbeitslosenquote liegt offiziell  bei 20,5 Prozent, bei Jugendlichen doppelt so hoch. Die kostbarste Ressource, die ein Land hat, sind seine Menschen. Das gilt ganz besonders für die Jugend. Wenn europaweit fast die Hälfte der Jugendlichen keine Perspektive haben, zerstören wir die Zukunft des Kontinents. Das können wir nicht hinnehmen, meine Damen und Herren, hier stehen wir alle in der Verantwortung!.

Die Verringerung der Jugendarbeitslosigkeit steht deshalb ganz oben auf der Agenda der Präsidentschaft der Vier Motoren, die das Land ab dem 1. Juli turnusmäßig für ein Jahr innehat. Wir werden im Rahmen unserer Präsidentschaft einen Austauschprozess über "Best Practice"-Beispiele zur Bewältigung der Jugendarbeitslosigkeit auf den Weg bringen. Neben der Qualität der beruflichen Bildung gehört in diesem Zusammenhang der verstärkte Austausch von Auszubildenden und Lehrkräften zu den zentralen Feldern der Zusammenarbeit der nächsten Jahre. Durch die Arbeitnehmerfreizügigkeit gewinnt die baden-württembergische duale Berufsausbildung gerade für diese Länder eine große Bedeutung, weil Freizügigkeit in der Ausbildungsphase die Jugendarbeitslosigkeit verringern helfen kann.

Einen besonderen Stellenwert werden auch  Begegnungsmaßnahmen haben, die den kulturellen und sozialen Austausch Jugendlicher fördern und darüber hinaus der beruflichen und sprachlichen Profilierung junger Menschen dienen. Bewährt haben sich die in den letzten Jahren gemeinsam durchgeführte "Vier Motoren-Jugendworkcamps", die unter der Präsidentschaft Baden-Württembergs weitergeführt werden sollen.

Investitionen in Bildung und Forschung gehören mit zu den besten Investitionen in die Zukunft Europas. Deshalb unterstützt Baden-Württemberg die verstärkte Teilnahme seiner Bürgerinnen und Bürger an Förderprogrammen der Europäischen Union in den Bereichen Forschung und Innovation, und dies ganz besonders  im Bereich der erneuerbaren Energien,

Klimawandel und Ausstoß von Treibhausgasen machen vor Grenzen nicht halt. Über eine nachhaltige Klimapolitik auf Landesebene ist deshalb ein enger Schulterschluss auf europäischer und internationaler Ebene erforderlich, wenn wir die ambitionierten Ziele zur Minderung der Treibhausgasemissionen tatsächlich erreichen wollen. Baden-Württemberg steht dabei als Hochtechnologieregion in der besonderen Verantwortung, seine Vorreiterrolle bei der Begrenzung des Klimawandels weiter auszubauen und gleichzeitig dazu beizutragen, erfolgversprechende Ansätze und Erfahrungen auf internationaler Ebene einzubringen, um Impulse für eine erfolgreiche Klimapolitik zu setzen. Maßnahmen für den Klimaschutz dienen gleichzeitig als Jobmotor und kreieren lokale Wertschöpfungskreisläufe.

Ich bin mir sicher, dass wir von Baden-Württemberg aus mit unserer sogenannten kleinen Außenpolitik auf der regionalen Ebene in der Vergangenheit bereits in sehr hohem Maße ganz praktisch am europäischen Integrationsprozess mitgewirkt haben. Wenn nun einige unserer Partnerregionen von der krisenhaften Entwicklung erfasst werden, müssen und werden wir ganz praktisch beweisen, dass wir verlässliche Partner sind. Dabei leisten nicht zuletzt auch kommunale Städtepartnerschaften  und Initiativen von Verbänden wertvolle Dienste. Stellvertretend für viele andere möchte ich hier nur auf die bereits seit 53 Jahren bestehende Städtepartnerschaft zwischen Offenburg und Lons-le-Saunier.

Aber auch die Wirtschaft des Landes kann einen Beitrag zur Überwindung der Krise leisten. Lassen Sie mich abschließend am Beispiel Griechenlands, das für Investitionen unserer mittelständischen Wirtschaft bisher uninteressant war, aufzeigen, was ich meine mit Mut zu Europa. Zukunftsversprechende Ansatzpunkte einer verstärkten Kooperation sehe ich hier im Bereich der Förderung der erneuerbaren Energien.: Das Umweltministerium unterstützt bereits baden-württembergische Unternehmen bei der Prüfung einer Beteiligung am Projekt „Helios“. Daraus entsteht eine Win-Win- Situation, von der beide Seiten profitieren werden:

In Griechenland scheint die Sonne an 300 Tagen im Jahr. Mit dem staatlichen Solarstromprojekt will das Land mittelfristig 15 Milliarden Euro ins Land holen und 60.000 Jobs schaffen.

10.000 Megawatt Strom soll Helios einmal erzeugen, nur 1000 davon will das Land selber nutzen, der Rest soll in Länder wie Italien, Deutschland und Luxemburg exportiert werden.

 Griechenland fehlt bislang die Infrastruktur, um gewinnbringend ins Solargeschäft einsteigen zu können. Hier liegt aber ein großes Potenzial für den Klimaschutz und für nachhaltiges Wachstum.

Aktuell produziert Griechenland 80 % seines Stroms vor allem aus Gas, Braunkohle und Öl, das es nahezu komplett für teure Euro importieren muss. Der größte heimische Energiekonzern DEI ist als Umweltverschmutzer verrufen. Die Potenziale der Solarstromerzeugung liegen da doch auf der Hand!

Das Thema Energie spielt eine entscheidende Rolle für die wirtschaftliche und soziale Stabilisierung Griechenlands. Wenn wir die griechische Wirtschaft dabei unterstützen, alte Ölkraftwerke abzuschalten und die Solarenergie aufzubauen, würde das eine verlässliche Einnahmequelle erschließen, die Importkosten reduzieren und die CO2-Bilanz Griechenlands erheblich verbessern.

Machen wir die Sonne zu Griechenlands Ölquelle

Die Entscheidungen des jüngsten EU- Gipfels setzen nach der erfolglosen Krisenpolitik der letzten Jahre richtige und wichtige Impulse und Maßnahmen. Die nächste Wochen und Monate werden bereits zeigen, wie konsequent wir Europäerinnen und Europäer, die Regierungen Europas und die Finanzmärkte bereit sind, für Europa und damit für unsere Zukunft Opfer zu bringen.

Ich betone nochmals: Die Politik wird nur dann proeuropäisch wirken könne, wenn es dafür eine breite gesellschaftliche Zustimmung gibt. Deshalb müssen wir unsere Vision von Solidarität und Solidität, von einem demokratisch legitimierten Europa wieder mehrheitsfähig machen.

Und wir werden als Bundesland unsere partnerschaftlichen Beziehungen besonders zu den Krisenländern vertiefen und unser Know how zur Verfügung stellen für die Energiewende, für nachhaltiges Wachstum, für Maßnahmen zur Bekämpfung des Klimawandels und in der Zusammenarbeit in Projekten  der beruflichen Bildung.

Haben wir Mut zu Europa! Denn ohne Europa haben wir keine Zukunft