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"Frieden, Kooperation, Wohlstand verdanken wir Europa"

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Du bist Europapolitiker, was begeistert dich an dem Thema? Ich lebe seit 36 Jahren am Oberrhein und halte diese Region mit ihrer Vielfalt für eine der attraktivsten in Europa. Allerdings sind die Grundsteine meiner Begeisterung für grenzüberschreitende Kooperationen schon während meiner Schulzeit in den 70ern gelegt worden. Mit meiner Klasse habe ich mehrfach in der Champagne unsere Partnerstadt besucht und diese Besuche wurden bei uns im Odenwald erwidert worden. Wir haben dort nicht nur Champagner genossen, sondern auch Soldatenfriedhöfe oder den Eisenbahnwaggon im Wald von Compiègne besucht, wo  im ersten und im zweiten Weltkrieg Waffenstillstandsverhandlungen geführt wurden. All diese Erlebnisse haben in mir die Überzeugung reifen lassen, dass  Deutschen und Franzosen eine besonders verantwortungsvolle Rolle im europäischen Friedens- und Integrationsprozess zukommt. Erstreckt sich diese Begeisterung auch auf die EU-Institutionen? Ich sehe die Europäische Union schon immer als ein Projekt, das sich und seine Institutionen ständig weiterentwickeln muss. Die zentrale Frage der Subsidiarität muss von Seiten der EU-Kommission stärker berücksichtigt werden. Es sollten nur jene Aufgaben von der EU wahrgenommen werden, die ausschließlich auf europäischer Ebene bearbeitet werden können – von einer gemeinsamen Außenpolitik, Handelspolitik, Umweltpolitik, Asylpolitik bis hin zu einer gemeinsamen Steuer- und Finanzpolitik. Dieser Grundsatz muss die europäische Agenda in den nächsten Monaten prägen. Die BREXIT-Kampagne war stark von ausländerfeindlicher Demagogie der Rechtspopulisten geprägt. Sie formulierte aber auch durchaus berechtigte Kritik zum Beispiel an der Arbeitsweise der Europäischen Kommission, die die Lust auf „mehr Europa“ mindert: Das intransparente Vorgehen bei TTIP hat sehr viel Vertrauen bei den Bürgerinnen und Bürgern verspielt und die Pläne der EU-Kommission für eine vorläufige Anwendung von CETA ohne Zustimmung der nationalen Parlamente vorbei an den BürgerInnen lässt  befördert das Gefühl von Ohnmacht und Wut. Es braucht deshalb u.a. eine Stärkung der Mitbestimmungsrechte des Europäischen Parlaments und eine weitere Demokratisierung der Europäischen Institutionen, damit EuropäerInnen nicht glauben, dass sie von den geschätzten 20.000 Lobbyisten in Brüssel regiert werden, sondern von einer demokratisch legitimierten Exekutive. Daran werden alle Mitgliedsstaaten in Zukunft verstärkt arbeiten und jeder seinen Beitrag leisten müssen. Ein europäischer Konvent unter starker Bürgerbeteiligung muss deshalb zügig eingeleitet werden Mit deinem Blick auf die Drei-Länder-Region - welche Auswirkungen hat die europäische Integration auf das Leben der Menschen? Im Dreiländereck wird die europäische Integration durch konkrete Projekte begreifbar. Passkontrollen wurden am Lörracher Grenzübergang zur Schweiz erst mit Beginn des ersten Weltkriegs 1914 eingeführt – davor hatten wir den Zustand, den wir erst seit 2004 wieder haben, wo jede und jeder sich frei zwischen Basel und Lörrach bewegen konnte. Wo in den letzten Kriegstagen im April 1945 (bei geschlossenen Schweizer Grenzen) Franzosen und Lörracher noch aufeinander schossen, haben sich in den vergangenen Jahren intensive Partnerschaften und Kooperationen gebildet mit der längsten friedlichen Zeit, die die Region kennt. Diesen Europäischen Friedens- und Integrationsprozess haben wir auch der Europäischen Union zu verdanken. In der Förderperiode 2014-2020 stellt sie dem Oberrhein über 109 Mio. Euro Projektmittel für die grenzüberschreitende Zusammenarbeit zur Verfügung. Durch Interreg-Mittel wurden zum Beispiel die Trams zwischen Basel und Weil am Rhein sowie zwischen Strasbourg und Kehl mit finanziert. Die duale Ausbildung von Französinnen und Franzosen wird in Baden-Württemberg mit europäischen Mitteln gefördert, und im Dezember 2015 wurde „Eucor – The European Campus“ durch die Universitäten Basel, Freiburg, Haute Alsace und Strasbourg und das Karlsruher KIT gegründet, welcher den grenzüberschreitenden Wissenschaftsraum am Oberrhein bündelt und stärkt. Im Übrigen wird gerade die Elektrifizierung der Hochrheinstrecke zwischen Basel und Schaffhausen auf deutscher Seite ebenfalls von EU-Interregmitteln mitfinanziert. Große Unsicherheit ist im vergangenen Jahr von Seiten der Schweiz ausgegangen, die die sogenannte Masseneinwanderungsinitiative mehrheitlich angenommen hat und damit u.a. die Personenfreizügigkeit zwischen der Schweiz und der EU in Frage stellt. Es ist bis heute offen, wie sich dieser Volksentscheid für die über 50.000 GrenzgängerInnen auswirken wird, die täglich in die Schweiz pendeln. Wie die Schweiz ihre Wirtschaft, den Dienstleistungssektor und das öffentliche Leben aufrechterhalten will, wenn 50.000 Arbeitskräfte nicht mehr in ihrem Land arbeiten, kann sich niemand so richtig vorstellen. Viele Unternehmen haben deshalb Niederlassungen in Basels Umfeld auf EU-Territorium gegründet, um flexibel auf die politischen Rahmenbedingungen in der Schweiz reagieren zu können. Die enge Verflechtung über nationale Grenzen hinweg zeigt die Notwendigkeit und den Nutzen grenzüberschreitender Kooperation für das Dreiländereck.