Mit Frauen Staat machen

Am 18.11.2014 fand im Stuttgarter Landtag eine von der Grünen Fraktion initiierte Anhörung zum Thema "Mit Frauen Staat machen - Impulse für die Personalentwicklung im Öffentlichen Dienst" statt. Wir haben Charlotte Schneidewind-Hartnagel, frauenpolitische Sprecherin, sowie Petra Häffner, polizeipolitische Sprecherin der Grünen Landtagsfraktion, zur Gleichstellung im Öffentlichen Dienst und den Impulsen dieser Veranstaltung befragt.  Welche Bedeutung hat Gleichstellung für die Qualität des Öffentlichen Dienstes? Charlotte Schneidewind-Hartnagel: „Noch nie gab es so viele gut ausgebildete, hoch qualifizierte und motivierte Frauen wie heute. Die sogenannte "gläserne Decke" darf Frauen nicht von der Führungsebene fernhalten. Eine moderne öffentliche Verwaltung kann es sich im Wettbewerb um die besten Köpfe nicht leisten auf Frauen zu verzichten, nur weil die Personalplanung und -entwicklung sich immer noch an der männlichen Durchschnittsbiographie ausrichtet. Wir wollen Gleichstellung in der DNA des Landes verankern und der öffentliche Dienst muss dabei beispielhaft vorangehen. Um das zu verwirklichen müssen sich nicht die Frauen verändern, sondern die Strukturen, die ihnen einen chancengleichen Zugang zu allen Positionen im öffentlichen Dienst ermöglicht. Dazu wollen wir mit einer Novellierung des Chancengleichheitsgesetzes die rechtlichen Rahmenbedingungen schaffen. Ohne Frauen ist kein Staat zu machen!" Wie beurteilt Ihr den Stand der Gleichstellung im Öffentlichen Dienst?  Petra Häffner: „Baden-Württemberg steht nicht mehr ganz am Anfang, aber es ist noch viel zu tun. Gleichstellung erfordert einen langen Atem und sehr viel Überzeugungsarbeit – bei Männer und Frauen, in den Führungsetagen, aber auch bei allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Interessant ist, dass es Landesbehörden gibt, die weiter sind als andere. In klassischen Männerdomänen – wie etwa der Polizei – muss man noch die „Schnecken zum Jagen tragen“, wie die Bundesfrauenvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei, Dagmar Hölzl, kritisch anmerkte, andere Landesbehörden wie das Wirtschafts- und Finanzministerium (MFW) sind schon besser aufgestellt, Ministerialdirigent Rolf Schumacher etwa hat für sein Ministerium bereits zum zweiten Mal ein Familienaudit durchgeführt. Um mehr Frauen in Führungspositionen zu bekommen, sind im MFW seit einiger Zeit mit gutem Erfolg stellvertretende Referatsleitungsposten teilbar. So können möglichst schnell möglichst viele Frauen in Führung etabliert werden. Es gibt also gute Beispiele, die Behörden können voneinander lernen.“  Zeigen die rechtlichen Regelungen zur Gleichstellung Erfolg? Charlotte Schneidewind-Hartnagel: „Freiwillige Vereinbarungen und unverbindliche gesetzliche Regelungen haben nicht zu einer signifikanten Steigerung des Frauenanteils geführt. Die Lebenswirklichkeiten und Rahmenbedingungen der beruflichen Entwicklung von Frauen und Männern unterscheiden sich auch im Öffentlichen Dienst. Trotz eines Frauenanteils von 60 Prozent bei den Beschäftigten lässt sich zur Geschlechterverteilung sagen: Je höher die Besoldung, desto geringer der Frauenanteil. Ein Rechtsgutachten des ehemaligen Bundesverfassungsgerichtspräsidenten Prof. Hans-Jürgen Papier "Zur Frage der Zulässigkeit von Zielquoten für Frauen in Führungspositionen im öffentlichen Dienst, sowie zur Verankerung von Sanktionen bei Nichteinhaltung", das das Land Nordrhein-Westfalen in Auftrag gegeben hat, kommt zu dem Ergebnis: Die Formulierung, dass Frauen "bei gleicher Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung" befördert werden sollen, klingt gut - funktioniert aber nicht. Jahrzehnte nach der Einführung dieser sogenannten leistungsbezogenen Quotenregelung sind Frauen in Führungspositionen immer noch deutlich unterrepräsentiert. Die Gleichstellungsgesetze sind hier wirkungslos. Auch das Chancengleichstellungsgesetz in Baden-Württemberg weist eine solche leistungsbezogene Quote auf, die nicht zu dem gewünschten Ergebnis führt. Wir arbeiten deshalb an einer Novellierung des Gesetzes. Wir wollen nicht nur in der freien Wirtschaft sondern auch im öffentlichen Dienst mehr Frauen in Führungspositionen. Aufsichts- und Verwaltungsräte landeseigener Unternehmen sollen paritätisch besetzt werden und wir wollen die Rechte der Chancengleichheitsbeauftragten stärken. Chancengleichheit von Frauen und Männern darf nicht vor der Führungsebene enden. Dazu brauchen wir auch Regelungen unterhalb der Führungspositionen, damit die Aufstiegsmöglichkeiten für Frauen konsequent gefördert werden können." Mit welchen weiteren Maßnahmen – auch im Hinblick auf die Änderung des Chancengleichheitsgesetzes – kann erreicht werden, dass Frauen in Führungsebenen des Öffentlichen Dienstes stärker repräsentiert sind?  Petra Häffner: „Eines unserer Ziele ist, den Anteil weiblicher Führungskräfte in der Landesverwaltung zu erhöhen. Hier denken wir an eine verbindliche Zielvorgabe, also eine Quote, nach dem Kaskadenmodell. Außerdem sollen Aufsichts- und Verwaltungsgremien landeseigener Unternehmen schrittweise paritätisch besetzt werden, und wir wollen die Rechte der Gleichstellungsbeauftragten stärken. Neben dem Pakt für Familien mit Kindern, mit dem die Landesregierung seit 2012 die Kinderbetreuung mit zusätzlichen Mitteln unterstützt, ist uns wichtig, die Arbeitgeberseite in die Verantwortung zu nehmen was familienfreundliche Arbeitsbedingungen angeht.
Ein weiteres sinnvolles Instrument zur Frauenförderung sind Mentoringprogramme. Sie bewirken zweierlei: Frauen werden durch ihre MentorInnen ermutigt, Führungspositionen anzustreben, die MentorInnen wiederum setzen sich intensiv mit dem Thema Gleichstellung auseinander. So werden sie zu MultiplikatorInnen des Themas. Die Anhörung hat gezeigt: Gender Diversity kann nur funktionieren, wenn es die jeweilige Leitungsebene will und dementsprechend vertritt. Nur wenn der Impuls zur Gleichstellung von ganz oben ausgeht und Gleichstellung permanent und nachhaltig auf allen Ebenen eingefordert wird, kann sich wirklich etwas bewegen.“  Vielen Dank für das Interview!