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Meine Daten gehören mir! Letztes Europäisches Gespräch mit Heide Rühle

Ungewollte Aktualität bekam das Thema des letzten Europäischen Gesprächs mit der Europaabgeordneten Heide Rühle zu Fragen des Datenschutzes in Zeiten von PRISM und Tempora: Die Nachricht, dass selbst das Handy der Bundeskanzlerin nicht sicher ist vor dem amerikanischen Geheimdienst, hat eine Woge aus Sensibilisierung und Empörung der Bevölkerung gegen den Eingriff in die Privatsphäre durch ungehindertes Abgreifen von Daten aller Art ausgelöst. Alex Salomon, datenschutzpolitischer Sprecher, betonte bei seiner Begrüßung für die grüne Landtagsfraktion: "Bei dem Schutz der Daten im Internet handelt es sich um einen quasi rechtsfreien Raum weil Klagerechte gegenüber ausländischen Geheimdiensten mangels Anwendbarkeit entsprechender Regelungen gar nicht greifen. Die Landesregierung setzt sich bei den europäischen Verhandlungen zum Datenschutzpaket intensiv für eine Stärkung der Bürgerrechte, des Datenschutzes und der Datensicherheit einsetzt und fordert von der Bundesregierung die schnellstmögliche Aufnahme von Verhandlungen über weitere internationale Abkommen." Die ExpertInnen auf dem Podium waren sich weitestgehend einig in der Begrüßung einer europäischen Datenschutzgrundverordnung, die derzeit unbestimmte Rechtsbegriffe klären könnte und mit der Bürokratie in Folge unterschiedlicher Regelungen Schluss machen würde. Für die Verbraucherzentrale e.V. schilderte Michaela Zinke, dass viele VerbraucherInnen nach dem Skandal Angst davor haben, dass ihre Daten im Internet zu kriminellen Zwecken abgefischt werden könnten und sie deshalb löschen wollen. Dies ist allerdings äußerst schwierig. Einer Umfrage der Verbraucherzentrale nach ist die Mehrheit der VerbraucherInnen bereit, für Datenschutz und Werbefreiheit zu zahlen. Für die Unternehmensseite erklärte Jana Moser von der Springer AG, dass die Unternehmen bereits heute durch Verpflichtung zu Information stark reguliert würden. "Information ist wichtig, sie muss aber auch verständlich sein", betonte sie. Die Chancen einer EU-Regelung liegen für Jana Moser in einer einheitlichen Auslegung durch die Datenschutzbeauftragten, die es heute mit einem Bundesdatenschutzgesetz und vielen anderen Gesetzen zu tun haben. Der Landesdatenschutzbeauftragte Jörg Klingbeil zeigte sich überrascht und erschreckt über den Umfang und die Tiefe des Datenmissbrauchs: "Der ganze Internet- und Telekombereich ist betroffen und dies weltweit". Die deutschen Datenschutzgesetze seien zwar gut, aber man komme mit ihnen nicht weiter. Die Computervernetzte Kommunikation und Datenverarbeitung mache ein einheitliches Datenschutzrecht erforderlich. Auf der Suche nach Antworten auf die Frage, welche Ebene überhaupt regelnd und kontrollierend tätig werden kann, kam dann die EU in den Fokus der Debatte: Ein einheitliches europäisches Datenschutzrecht ist erforderlich, war schnell klar. Derzeit haben zwar alle 28 Mitgliedstaaten der EU einen gemeinsamen Rechtsbestand durch die EU-Datenschutzrichtlinie aus dem Jahr 1991. Ihre Umsetzung in nationales Recht ist allerdings sehr unterschiedlich. Deshalb wurde in den letzten eineinhalb Jahren in Brüssel der Entwurf einer EU-Datenschutzgrundverordnung diskutiert. Berichterstatter: Der grüne Europaabgeordnete Jan Phillip Albrecht. Albrecht berichtet aus der Arbeit des Europäischen Parlaments: Etwa 200 Interessengruppen wurden vom Parlament angehört, rund 4000 Änderungsanträge eingebracht und abgestimmt. Heraus kam ein Kompromiss, auf den sich alle Fraktionen des EP am 24. Oktober verständigt haben, um schnellstmöglich Rechtssicherheit herzustellen. Die Verabschiedung dieses Kompromisses dürfe nun nicht verzögert werden, so Albrecht. Denn mit der Europawahl am 25. Mai nächsten Jahres wird ein neues Europaparament gewählt und eine neue EU-Kommission eingesetzt. Eine Verschiebung käme einem Neuanfang der Beratungen gleich. Weitere Rechtsunsicherheit könne man sich nicht erlauben. Die Verbraucherinnen hätten ein Recht auf Schutz. Bei der anschließenden Diskussion bewies die bei den Europäischen Gesprächen mehrfach bewährte Moderatorin Eva Sauer Überblick und Fachkompetenz. Viele Gäste brachten ihre Sorge oder Empörung zum Ausdruck. Angesprochen wurden die Rechte der Geheimdienste und Möglichkeiten ihrer Kontrolle, das Menschenrecht auf Unversehrtheit der Daten, die stärkere Berücksichtigung der Opferseite bei Spionage und die Frage nach der Exekutive. Wer wahrt eigentlich unsere Rechte in der realen Welt, wenn sie in der digitalen Welt verletzt werden? Wer verteidigt sie? Albrecht verwies auch bei dieser Frage darauf, dass die EU-Regelung die bestehenden Defizite abbauen solle. Mit dem Marktortprinzip würde der Status Quo fundamental geändert. Beispielsweise unterliegen US-Unternehmen, die Daten von europäischen Kunden bei sich in den USA verarbeiten, derzeit den US-amerikanischen Gesetzen. Auch der Gerichtsstand ist in den USA. In den USA ist das Datenschutzniveau erheblich niedriger als in Deutschland und der EU. Wer Produkte und Dienste von Firmen wie Google, Facebook, Apple oder Microsoft nutzt, unterliegt dem geltenden Recht der USA. An diesen Verzerrungen etwas zu ändern, gäbe Kunden und Verbrauchern neue Perspektiven. Zudem sollen Unternehmen bei Verstößen künftig sanktioniert werden, und zwar mit Strafen bis zu 5% ihres globalen Umsatzes. "Es geht nicht darum, wer meine Daten speichert oder nutzt, sondern dass sie gespeichert und genutzt werden. Hier brauchen wir Rechtssicherheit zumindest auf europäischer Ebene", so Jörg Klingbeil. Merkposten für uns alle bleibt neben der EU-Datenschutzgrundverordnung, die wir bei Albrecht in besten Händen wissen, die effektive Kontrolle der Geheimdienste durch die nationalen Parlamente - hier hat die EU keine Kompetenz. Bisher jedenfalls. Hier sind wir gefragt. Denn auch hier sind gemeinsame Regelungen erforderlich. Am Ende der spannenden Diskussion verabschiedeten der neue Landesvorsitzende der Grünen, Oliver Hildenbrand, und der europapolitische Sprecher der Landtagsfraktion, Josha Frey, Heide Rühle, die 2014 nicht wieder für das Europaparlament kandidieren wird. "19 Europäische Gespräche seit 2005. Liebe Heide, wir danken dir für die wichtige und fruchtbare Zusammenarbeit zwischen Europaparlament und Landtagsfraktion mit vielen guten Debatten über wichtige Zukunftsfragen der nachhaltigen und demokratischen Transformation Europas in allen Politikfeldern. Alles Gute für dich."