Gesundheit und Pflege

Petra Krebs: Es gibt kein Pandemie-Drehbuch

„Die Bewältigung dieser Pandemie ist wahrlich ein enormer Kraftakt. Nicht nur, weil die Pandemie enorme Auswirkungen auf unser soziales, kulturelles oder wirtschaftliches Leben hat,  sondern auch weil die Wissenschaft und die Politik in den vergangenen Monaten lernen musste mit neuartigen und dynamischen Phänomenen umzugehen und schwierige Abwägungen und Entscheidungen auf Basis von Prognosen und Unsicherheiten zu treffen.

Das erschwert die Pandemiebewältigung und ich bin der Landesregierung sehr dankbar, dass sie sich besonnen und mit Weitblick dieser Aufgabe stellt. Nun bringt die FDP heute in der Aktuellen Debatte ein Thema ein, welches ich durchaus begrüße.

Phase der Normalisierung

Wir können sicherlich konstruktiv darüber debattieren, auf welcher wissenschaftlichen Grundlage wir die Corona Politik beziehen wollen. Denn wir befinden uns nun in einer Phase der Normalisierung.

Die Inzidenzzahlen sind niedrig und wir alle erfreuen uns in diesen Sommertagen an unseren in der Pandemie hart erarbeiteten Freiheiten – der Besuch unseres Lieblingsrestaurants oder die Geselligkeit in einer größeren Gruppe. Das ist schön und danach haben wir uns alle gesehnt.

Das Entwerfen einer nachhaltigen Perspektive zur Überwindbarkeit der Pandemie ist von daher folgerichtig und muss auch Ausgangspunkt dieser Debatte sein.

Nachhaltige Perspektive

Der Stichpunkt ist hier aber nachhaltige Perspektive. Festzuhalten ist erst einmal, dass wir uns nun in der erfreulichen Situation befinden, in der die vulnerablen Bevölkerungsgruppen weitestgehend geimpft sind.  Das führt dazu, dass die Entwicklung der Fallzahlen sich von der Anzahl der Hospitalisierungen und von der Anzahl der Todesfälle entkoppelt.  Und in diesem Kontext ist es richtig, auch über die Bewertung und den Einfluss neuer Kennwerte zu debattieren. 

Ich stimme hier mit Herrn Minister Lucha überein – er hat es ja bereits letzte Woche erwähnt –, dass nun beim Blick auf die Gesamtsituation nicht nur auf die Inzidenz geachtet werden darf,  sondern auch verstärkt Parameter wie Impfquote und Hospitalisierung – also die Auslastung der Krankenhäuser –, sowie die Krankheitsverläufe bei der Beurteilung der Pandemie und der Entwicklung von möglichen Maßnahmen betrachtet werden müssen.

Kennwerte 

Aber es ist auch wichtig zu verstehen, dass diese neuen Kennwerte allein nicht heilige Gral sind, die uns aus der Pandemie führen werden. So hat die Hospitalisierung und die Impfquote für sich allein genommen nur eine bedingte Aussagekraft, die nicht die gesamte Dynamik der Pandemie abbilden kann.  

Bezüglich der Hospitalisierung:

Dieser Wert kann nicht als Frühwarnsystem benutzt werden, da zum Beispiel die Anzahl der Klinik Einweisungen dem aktuellen Infektionsgeschehen hinterherhinkt. Im Schnitt liegen etwa 10 Tage zwischen Ansteckung ein und Krankenhauseinweisung. Des Weiteren hat die Hospitalisierungsrate keinerlei Aussagekraft über die Anzahl moderater Krankheitsverläufe, die die Gesellschaft ebenfalls stark belasten können, da es zum Beispiel zu Arbeits-  oder Schulausfällen kommt. Auch sagt es nichts über das Risiko einer Long-Covid- Escheinigung von stationär behandelte infizierten Bürgerinnen und Bürger aus.

Kommen wir zur Impfquote:

Impfungen sind ein ganz wesentlicher Bestandteil bei der Bekämpfung der Pandemie und zum Weg zur nötigen Herdenimmunisierung. Aber wir befinden uns in einer – ich formuliere es mal etwas vorsichtig –  mittelprächtig immunisierten Gesellschaft. Deutschlandweit hat nicht mal die Hälfte die für den vollständigen Impfschutz nötige Zweitimpfung erhalten.  Daher kann die Impfquote zum jetzigen Zeitraum noch nicht wirklich herangezogen werden, die es legitimieren würde Schutzmaßnahmen vollumfänglich fallen zu lassen.

Bewertungsmaßstäbe

Es ist wie gesagt wichtig, dass wir neben der Inzidenz, nun die Hospitalisierung und Impfquote mehr gewichten, aber die bisherigen Bewertungsmaßstäbe sind weiterhin wichtig. Diese Aspekte dürfen wir bei dieser Debatte nicht außer Acht lassen, gerade auch angesichts der Tatsache, dass aufgrund einer hochansteckenden Deltavariante das Szenario einer vierten Welle real ist. Kollege Bayaz hat letzte Woche bereits in diesem Hause gesagt, dass es kein Pandemie-Drehbuch gibt.  Und das stimmt auch!

Daher ist es enorm wichtig, dass wir alles daran legen Inzidenzzahlen nicht in die Höhe schnellen zu lassen.  Wir dürfen den Virenvarianten keinerlei Chance bieten, durch Mutationen resistent gegenüber der Immunisierung zu werden.  Das heißt - wir brauchen weiterhin Maßnahmen die ungeimpfte Personen – insbesondere die Kinder und Jugendliche, die noch keinerlei Impfschutz haben - schützen.  Wenn wir die Infektionen ohne weitere Schutzmaßnahmen einfach durch die Gruppe der Kinder und Jugendlichen, sowie der weiterhin sehr große Gruppe ungeimpfter Menschen durchlaufen lassen, dann wird die Zahl der Krankenhauseinweisungen auch langfristig wieder steigen.

Auch wenn ein schwerer Verlauf bei Kindern und Jugendlichen in der Regel eher selten auftreten, so sind Langzeitfolgen, wie Long-Covid bei diesen Altersgruppen relevant und fallen dann auch häufig besonders dramatisch aus.

Öffnungsperspektiven

Ich möchte aus Sicht meiner Fraktion hier nochmals unterstreichen, worauf es bei weiteren möglichen Öffnungsperspektiven vor allem ankommt: nämlich aufs Impfen, Impfen und Impfen.

Ich habe gerade dargelegt, die neuen Kennwerte allein werden uns nicht helfen die Pandemie zu überwinden. Das kann nur eine schnell voranschreitende Impfkampagne.  Gestern hieß es in einer DPA-Meldung, Deutschland steuere auf ein Überangebot von Corona Impfstoffen zu. Wir sind also in der angenehmen Lage jeder Bürgerin und jedem Bürger zeitnah ein Impfangebot unterbreiten zu können und ich appelliere daran, dieses Angebot wahrzunehmen.

Soziale Verantwortung

Ich bin Minister Lucha sehr dankbar, dass er nichts unversucht lässt, um die Impfquote zu erhöhen und ich begrüße, dass auf dem Impfgipfel letzten Freitag beschlossen wurde, niederschwellige Impfangebote gezielt zu fördern. Wir werden alles dafür tun, unser Ziel, bis zum Ende des Sommers 80% der Impfberechtigten zu erreichen, umzusetzen. Wir überlassen den Bürgerinnen und Bürger dabei, ob sie sich impfen lassen wollen oder nicht.  Aber und das ist mir auch ganz wichtig zu betonen, dass die Impfung gerade in einer Pandemie eine soziale Verantwortung ist.  Wir können eine Pandemie nur dann in die Knie zwingen, wenn wir alle Kräfte bündeln und sich alle miteinander solidarisieren.

Wenn Appelle zum Impfen jedoch nicht weiterhelfen und wir gleichzeitig keinen weiteren Lockdown möchten, können wir nur denjenigen einen Zugang zu bestimmten gesellschaftlichen Ereignissen gewähren, die genesen, geimpft oder getestet sind. Natürlich gilt dies nicht für Menschen, die aus gesundheitlichen Gründen keine Impfung erhalten können.  Jedem Bürger, jeder Bürgerin wird ein Impfangebot unterbreitet und keiner muss sich hier ausgeschlossen fühlen.

Maßnahmen des Infektionsschutzes

Noch immer haben viele Menschen nicht den vollen Impfschutz und solange noch keine ausreichende Herdenimmunität gesichert ist und gleichzeitig ganze Jahrgänge noch nicht geimpft sind, müssen wir auch weiterhin bewährte Maßnahmen des Infektionsschutzes zurückgreifen können.  Hiermit gewinnen wir langfristig mehr als wir verlieren."